: „Ein Skandal hat den anderen gejagt“
■ Gespräch mit Eishockey-Nationalspieler Gerd Truntschka zur Gründung der „Vereinigung der Eishockeyspieler“ (vde)/ Kampf für den Einheitsvertrag und gegen das amerikanische „Draft“-System
Das „Gästehaus des Eissports“ in Füssen ist ein beschaulicher Ort — genau richtig, um sich auf die Weltmeisterschaft im Eishockey vorzubereiten. Gewerkschaftlicher Umtriebe ist es gänzlich unverdächtig. So schöpfte auch niemand Verdacht, als sich dort an einem Samstag im April 26 gestandene Mannsbilder zum Kaffeetrinken trafen. Erster und einziger Tagesordnungspunkt: Gründung einer Spielergewerkschaft für Eishockeycracks. Nach ein paar Tassen Kaffee und vielleicht einem Zigarettchen war alles gelaufen und die Gründung der „Vereinigung der Eishockeyspieler“ (vde) perfekt. Als erstes war die komplette Nationalmannschaft beigetreten. Vorsitzender wurde Kapitän Gerd Truntschka, sein Stellvertreter Uli Hiemer und Schatzmeister Rick Amann, beide von der DEG. Mit Unterstützung der Fußballerkollegen soll zügig mit der Arbeit begonnen werden. Die taz sprach mit Präsident Truntschka über die Pläne und Ziele der neuen Interessenvertretung.
taz: Gerd Truntschka, sie sind Kapitän der Nationalmannschaft und Präsident der vde in Personalunion. Brauchen Sie jetzt beim Training ein Mobiltelefon?
Gerd Truntschka: Ach nein, so weit ist es noch nicht. Die Hauptarbeit war bisher vor der Gründung. Wir haben Gespräche geführt mit dem Bundesligausschuß...
Wie nimmt der Deutsche Eishockeybund (DEB) das auf?
Ganz positiv. Schon einen Tag nach der Gründung hat uns der DEB angesprochen und uns über deren Pläne unterrichtet, was zum Beispiel Ablösesummen oder Spielertransfers betrifft.
Das ist beim Fußball ja ganz anders gelaufen. Der Deutsche Fußball-Bund sperrt sich immer noch gegen eine Zusammenarbeit mit der Fußballervereinigung.
Wir hatten natürlich einen guten Start — schließlich ist die komplette Nationalmannschaft beigetreten. Außerdem ist beim Eishockey einiges im Umbruch, und da sucht der DEB auch unsere Meinung und Zustimmung.
Im nachhinein sieht die Verbandsgründung ganz selbstverständlich aus. Gab's auch Gegenstimmen?
Nein, überhaupt nicht.
Aus der Fußballszene ist bekannt, daß Spieler massiv an einem Beitritt zu ihrem Verband gehindert werden sollen.
Da haben wir bis jetzt gar keine Probleme mit. Wir haben das Ganze in Düsseldorf vorbereitet, und als ich das Projekt hier der Mannschaft vorgeschlagen habe, waren alle begeistert. Immerhin ist diese Idee schon seit ein paar Jahren in der Diskussion.
Woran ist es bisher gescheitert?
Jo mei — es hat sich halt niemand gefunden, der die Arbeit hätte machen wollen. Ich wollte eigentlich auch keine federführende Position einnehmen. Aber jetzt hat sich die Lage so zugespitzt — gerade was den Fall Rosenheim angeht —, daß ich mich, auch als Kapitän, in der Pflicht gesehen habe.
Sie als Nationalspieler dürften ja wohl keine Probleme haben. Haben Sie die Erfahrungen aus der Vergangenheit dazu bewogen?
Das ist richtig. Aber gerade wir als Nationalspieler haben die Pflicht, für die nächste Generation etwas zu tun, damit es in den nächsten 15 Jahren nicht so läuft wie in den letzten. Da hat ja ein Skandal den anderen gejagt.
Sie kritisieren speziell die Ablösesummen.
Wir kritisieren nicht die Ablösesummen an sich, sondern die Art, wie sie zustandekommen. Wenn jemand einmal das Nationaltrikot getragen hat, ist er gleich um 150.000 Mark teurer. Es gibt für ihn kaum noch eine faire Chance, zu einem Verein seiner Wahl zu wechseln. Wir schlagen vor, die Ablöse nach der Höhe des Gehalts zu bemessen.
In der National Hockey League (NHL) hat es vor kurzem einen aufsehenerregenden Streik gegeben. Können Sie sich auch eine Situation hier vorstellen, die zu einem Streik führen könnte?
Das kann man eigentlich gar nicht vergleichen. Die NHL ist ein Riesenkonzern, und die Teams sind praktisch Tochterunternehmen. Das sind alles Privatleute, die damit Gewinne erwirtschaften wollen — was ihnen auch ziemlich gelungen ist. Wir haben hier eingetragene Vereine und somit einen ganz anderen rechtlichen Status.
In Rosenheim haben beinahe schon NHL-Verhältnisse geherrscht. Dort gehörten die Spieler nicht dem Verein, sondern der Gebrüder März GmbH.
Für uns war das Problem — und das gab auch den Anstoß für die Verbandsgründung —, daß nach dem Rückzug Rosenheims die anderen Vereine ein Kartell gebildet haben, um die Spieler unter sich aufzuteilen. Die Spieler haben plötzlich ganz niedrige Angebote bekommen, weil sich die Vereine sicher waren, daß sie nicht überboten würden. Das ist unserer Meinung nach absolut illegal.
In der NHL ist das gang und gäbe.
Dafür ist das Eishockey dort auch sonst besser organisiert. Davon abgesehen gilt hier deutsches Recht, und deshalb interessiert mich erstmal gar nicht, was in der NHL gemacht wird. In Amerika müssen auch Mexikaner für drei Dollar arbeiten, deshalb müssen wir das nicht auch machen.
Das Modell Rosenheim wäre also nicht unbedingt ein Modell für die Liga?
Das ist eigentlich ein generelles Problem. In Deutschland sind zu viele Vereine von einzelnen Personen abhängig. Deshalb kracht es ja auch ständig. Wir als Spieler können da allerdings wenig machen.
Was ist für Sie derzeit am dringlichsten?
Das Dringlichste ist für uns, zunächst zu verhindern, daß sich hier ein Draft-System (ein Kartell der Vereine, Anm.d.Red.) etabliert. Da müssen wir höllisch aufpassen, daß diese immer noch bestehenden Bestrebungen nicht an uns vorbeigehen. Als nächstes streben wir einen Einheitsvertrag an, auf dessen Grundlage sämtliche Vereinbarungen zwischen Verein und Spieler getroffen werden.
Sie meinen einen Vertrag, der mit dem DEB und der vde abgestimmt ist und für jeden Verein bindende Wirkung hat?
Ja genau. Ein weiterer wichtiger Punkt ist für uns die Frage der Lizenzüberprüfung. Das geht natürlich mehr DEB und Vereine an. Aber wir wollen nicht jedes Jahr erleben, daß zwei bis drei Vereine in Konkurs gehen. Ich bin sicher, daß die Spieler lieber etwas weniger Geld bekommen und das dafür aber regelmäßig.
Sie wären mit weniger Geld zufrieden? Deutsche Topspieler können doch momentan jeden Preis verlangen.
Natürlich nur, wenn es eine anständige Wirtschaftlichkeitsprüfung gibt. Dann können die Vereine auch nicht mehr ausgeben als einnehmen — wie bisher. Wir sind an soliden Arbeitsverhältnissen interessiert — da würden wir auch eine mögliche Stagnation der Gehälter in Kauf nehmen.
Was sind die nächsten Schritte des vde?
Wir werden nach der WM alle Spieler der 1. und 2. Liga anschreiben und dann schauen, wieviele überhaupt beitreten. Als nächstes werden wir im September/Oktober eine Hauptversammlung machen, auf der wir unserer Ziele festschreiben. Interessant wird sein, wie die ausländischen Spieler darauf reagieren, die immerhin 40 Prozent der Liga ausmachen.
Für die der Verband auch offen ist?
Sicher. Interview: Matthias Kittmann
Gruppe A: Deutschland - Polen 11:1, Finnland - Italien 6:1, Schweden - USA 4:4; Tabelle: 1.Finnland 32:8 Tore/10:0 Punkte, 2.Deutschland 30:14/8:2, 3.USA 14:15/5:5, 4.Schweden 14:12/4:6, 5.Italien 10:18/3:7, 6.Polen 8:41/0:10
Gruppe B: Norwegen - Frankreich 1:0, Rußland - Kanada 6:4, CSFR - Schweiz 2:0; Tabelle: 1.Rußland 23:10/9:1, 2.CSFR 17:7/8:2, 3.Schweiz 12:11/6:4, 4.Kanada 15:18/5:5, 5.Norwegen 8:16/2:8, 6.Frankreich 8:22/0:10
Die Viertelfinals: Heute: Finnland - Kanada (17.00); Rußland - Schweden (21.00). Am Donnerstag: Deutschland - Schweiz (15.00); CSFR - USA (19.30)
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