: Ein Sarg als Handgepäck
■ „Highway 61“ von Bruce McDonald: Das letzte Roadmovie
Der „Highway61“ führt von Thunder Bay in Ontario nach New Orleans in Louisiana. Der Highway61 führt wie keine andere Straße der Welt durch Orte, an denen Musik gemacht wurde und gemacht wird: St. Louis, Memphis, New Orleans. Der Highway61 ist selbst Musikgeschichte, nicht erst seit ihm Bob Dylan in Highway61 Revisited ein tönendes Denkmal setzte. Weil der Highway61 von Norden nach Süden verläuft, ist er Symbol für den Rock'n'Roll und alle Stile, die mit ihm in Verbindung stehen. Die Bewegung von Ost nach West steht im Gegensatz dazu eher für den trabenden Rhythmus des Country & Western, auch wenn Nashville nicht allzu weit entfernt liegt.
Autofahren ist immer auch Musikhören. Autos selbst sind Musik. Die Straßen müssen nur möglichst schnurgerade sein, und das Radio muß funktionieren. Musik ist einer der Gründe, warum es beim Fahren nicht immer ums Ankommen geht. Oft hat Reisen schließlich nur den einen Grund: wegzukommen.
Der Blues entstand im Mississippi-Delta, zog dann flußaufwärts, war spätestens in St. Louis urbanisiert, traf auf Gospel, eröffnete damit die Geschichte des Soul und hatte vorher schon in Memphis eine enge Beziehung mit Country & Western aufgenommen. Das Kind dieser Haßliebe nannte sich Rock'n'Roll.
Eine Reise von Norden nach Süden auf dem Highway61 ist also eine Reise rückwärts durch die Musikgeschichte. Es kann folglich nur einen möglichen Film geben, der zwar nicht versucht, das Wesen des Rock'n'Roll zu ergründen, aber dem Geist desselben näherzukommen: Ein Roadmovie, der jede Meile auf dem Highway61 mit Bremsbelägen bezahlt.
Bruce McDonalds letzter Film hieß Roadkill und war quasi die Vorgeschichte zu Highway61. In Roadkill spielte Valerie Buhagiar die schüchterne Ramona und lernte als zwangsverpflichteter Roadie einer Rockband das Autofahren. Einige die Straßen überquerende Tiere waren darüber wenig glücklich — deshalb der Filmtitel. In Highway61 heißt Buhagiar Jackie Bangs und schmeißt einen Job als Roadie hin, um in der Leiche ihres angeblichen Bruders Drogen zu schmuggeln. In Roadkill spielte Don McKellar den unmotivierten Serienkiller Russell. In Highway61 spielt er den verschüchterten, gehemmten Friseur und Hobbymusikanten Pokey Jones, der von Jackie mit sanfter und weniger sanfter Gewalt dazu gebracht wird, den eingefrorenen Bruder nach New Orleans zu fahren.
In den Charakteren tauschen die beiden Hauptdarsteller den Charakter ihrer Rollen vom vorigen Film. So wie Musik sich immer wieder auf ihre eigene Vergangenheit bezieht, sich selbst zitiert, ja oft nur von der Referenz lebt, benutzt Bruce McDonald das Zelluloid. Ein Film kann ohne den letzten gesehen, aber nicht gedacht werden. So wie Musik für sich allein stehen kann, aber erst im historischen Kontext bewertet werden kann.
Highway61 zitiert einiges. Manches davon läßt sich einfach nicht vermeiden, weil ein Roadmovie nun mal Bilder von vorbeiziehenden Landschaften und in der Geschwindigkeit verschwimmenden Mittelstreifen braucht. Doch niemand zuvor hat so bewußt die Musikgeschichte in einem Film zitiert. In Highway61 ist die Musik nicht wahllos zusammengestellt, sondern eben eine Reise durch die USA von Nord nach Süd und von gestern bis heute: Blues, C&W, Gospel, Rock'n'Roll, Rock, Punk, Soul, Zydeco.
Auch in den Nebenrollen wird Reverenz erwiesen: Einen amerikanischen Zollbeamten spielt Jello Biafra, seines Zeichens Sänger der Dead Kennedys und später von Lard, und der Vorkämpfer im Amipunk gegen Zensur und die Moral Majority. Als Anführer einer Hell's-Angels- Gang läßt sich Tav Falco von Pokey rasieren. Falco ist Memphis-Legende, Intimus von Alex Chilton und selbsternannter und größter Sachwalter des vergessenen Rock'n'Roll-Erbes. Beide Rollen für die Musiker sind bewußt ausgewählt. Beide Musiker sind als Repräsentanten verschiedener musikalischer Traditionen exemplarisch. Biafra spielt einen Vertreter des Staates, also ein Symbol dessen, was er bekämpft. Falco tritt auf als eine klassische Ikone amerikanischer Jugendkultur, also ziemlich genau das, was er auch sonst repräsentiert. Zudem stehen beide für zwei völlig verschiedene Herangehensweisen an Rockmusik: Falco ist Bewahrer und Förderer der retrospektiven Sicht auf die Musik, die nur dezent modernisiert wird. Biafra, der aus dem Punk kommt, steht für die versuchte Zerstörung und tatsächlich gelungene Veränderung dagewesener Strukturen in Musik und Business, ist aber trotzdem auch nicht denkbar ohne die amerikanische Rockhistorie.
Highway61 ist für eine Underground-Produktion überaus humorvoll und hat mit den beiden Hauptdarstellern und Earl Pasko hervorragende Schauspieler. Pasko mimt Mr.Skin, der sich für Satan hält und ebenfalls an die Leiche muß, weil diese ihre Seele an ihn für ein Busticket verkauft hat. Die Kontrakte zur Seelenübergabe verteilt Mr.Skin wie Werbebroschüren, nach der mit Blut vollzogenen Unterschrift reicht er höchstselbst dem Verdammten ein Pflaster und schießt ein Polaroid des Opfers.
Zudem stellt Highway61 viele brennende Frage: Ist es rechtlich beziehungsweise praktisch möglich, mit einem Sarg als Handgepäck zu trampen? Womit vertreiben sich frustrierte Rockstars ihre Zeit in der Villa? Wie sieht das Kinderhaus von Bob Dylan aus? Kann man auf amerikanischen Friedhöfen Geschlechtsverkehr haben? Was ist schneller: ein Rasiermesser oder eine Kugel? Warum passen die Namen der Protagonisten Bangs und Pokey so gut? Kann ein Auto als Familienersatz dienen? Und viele mehr. Der Film beantwortet nicht alle. Schade eigentlich. Thomas Winkler
Highway61. Regie/Story: Bruce McDonald, mit Valerie Buhagiar, Don McKellar, Earl Pasko, Peter Breck u.a. USA 1991.
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