: Demonstrative Überfahrt nach Wales
Irische Feministinnen organisieren Bootsfahrt als Abtreibungsdemonstration/ Polizei hält sich zurück ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Ich bin hier wegen meiner beiden Töchter“, sagt Alice Dawson aus Ballymun, einem Hochhausghetto im Norden Dublins. „Sie haben das Recht, ungehindert zu reisen. Es geht um ihre Zukunft.“ Die 37jährige Mutter von sieben Kindern ist eine von 215 Frauen, die am Mittwoch mit der Fähre von Dun Laoghaire bei Dublin in das walisische Holyhead übersetzten — eine Fahrt, die jedes Jahr mindestens 5.000 irische Frauen machen, um in England eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Die meisten müssen das vor Eltern und Freunden verheimlichen. „Die Frauen hier auf dem Schiff stammen aus allen Teilen Irlands und sind von völlig unterschiedlicher sozialer Herkunft“, sagt Ursula Barry, eine der Organisatorinnen der Demonstration. „Genau wie die schwangeren Frauen, die jeden Tag dieses Boot nehmen.“
Die 41jährige Mary Leahy aus dem südirischen Waterford sitzt mit ihrer 17jährigen Tochter Blaire in der Schiffsbar. „Die Männer wissen jetzt, daß sie ihre schwangere Frau oder Freundin durch eine Privatklage an der Ausreise hindern können, wenn sie eine Abtreibung plant“, sagt Leahy. „Der neue Fall, bei dem ein Mann aus dem nordirischen Derry seine ehemalige Freundin bei der Polizei angezeigt hat, führt dazu, daß Frauen jetzt noch mehr Angst und noch mehr Schuldkomplexe haben. Die Sprache der sogenannten Lebensschützer ist sehr aggressiv.“ Gestern wurde bekannt, daß der Mann aufgrund des „Medienrummels“ seine Klage zurückgezogen hat. Marys Tochter Blaire sagt: „Selbst die meisten Jugendlichen in meinem Alter akzeptieren den Status quo widerspruchslos.“
Die Überfahrt am Mittwoch wurde von der neu gegründeten „Women's Coalition“ organisiert. „Die Idee wurde am Internationalen Frauentag geboren“, sagt Clare Casey von der Frauenkoalition. „Damals fand eine ganztägige Konferenz statt, auf der die verschiedenen politischen Gruppen um die richtige Linie stritten. Viele Frauen hatten davon die Schnauze voll und gingen nach Hause. Von diesen Frauen kam die Initiative für das ,Abtreibungsschiff‘, weil sie sich nicht mehr länger auf Diskussionen beschränken wollten.“ Mit der Demonstration soll die Wut darüber ausgedrückt werden, daß irischen Frauen nach wie vor das Entscheidungsrecht verweigert wird. „Wir werden immer wieder gefragt, wo denn die Frauenbewegung sei“, sagt Clare Casey. „Sie ist in den Vierteln, in den Gemeinden und in den Reihenhaussiedlungen. In den letzten Jahren hat eine starke Politisierung stattgefunden, die auch ,normale‘ Frauen erfaßt hat — und das ist gut so.“
In Holyhead erwartet eine Delegation der britischen Schwangerschaftsberatung das Schiff und überreicht den Frauen Informationspakete über Abtreibungsmöglichkeiten in England. Auf der Rückfahrt nach Dun Laoghaire ist die Stimmung ausgelassen: Die Frauen singen in der Bar immer wieder ein Lied, das sie auf der Hinfahrt komponiert haben. Im Hafen von Dun Laoghaire wird das Schiff von etwa 150 Frauen begrüßt, die lila Luftballons mit der Telefonnummer der — illegalen — Dubliner Abtreibungsberatung steigen lassen. Als die Frauen vom Schiff durch die Polizei- und Zollkontrolle gehen, schwenken sie die— ebenfalls illegalen — Informationspakete und skandieren die Dubliner Telefonnummer. Die Polizei bleibt untätig: Ein Eingreifen würde die Abtreibungsdebatte nur weiter anheizen.
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