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Beim Trinkgelage geritzt

■ DruckwerkerInnen aus sechs Ländern beschäftigten sich mit der Oberfläche der Stadt

Wenn irgendwo auf der Welt gasgefüllte sex dolls (Beate Uhse) ferngezündet explodieren; wenn Fun-Brüste von Druckzylindern auf Knopfdruck gequetscht werden und quietschen; wenn im Rotlichtviertel überall „Not Fall Boxen“ hängen, vollgestopft mit Kondomen, Spanischer Fliege o.ä., um Menschen in sexueller Not zu helfen (Scheibe einschlagen!): Dann hat SOBEK zugeschlagen. Das ist eine Künstler- Fabrik in Ostberlin in Strichnähe, wo Pyrotechniker, Erfinder seltsamer Maschinen und andere Besessene leben und arbeiten. Und ihren Spaß haben. Tom Diekmann (28) ist einer von ihnen. Der gebürtige Bremer ist anläßlich des laufenden „Druckgrafik- Symposiums“ Druckwerk — Haut der Stadt hier anwesend und hängt seine „Not Fall Boxen“ auf — am Ziegenmarkt, in der Helenenstraße, beim Hafenstrich und neben der Städtischen Galerie im Buntentor.

Eingriffe in den städtischen Raum sind dieser Tage auch von unaufmerksamen PassantInnen kaum zu übersehen. Die „Haut der Stadt“ wurde geritzt, kopiert, abgerieben oder kommentiert. 41 KünstlerInnen aus Bremen, Restdeutschland, den Niederlanden, aus England, Italien, Norwegen und Spanien trieben einen Monat lang ihre Oberflächenstudien und zeigen die Ergebnisse ab Samstag.

Man kann, wie der Erfurter Matthias Geitel, die pausenlosen Mikroverletzungen der Stadthaut durch Fußtritt und Reifendruck konservieren, indem man beschichtete Druckplatten auf der Straße auslegt. Geätzt, gedruckt und ausgestellt: im Modehaus Rehme am Sielwalleck. Man kann Händedruck in Salzteich aufheben, wie Anna Wolpert und Tom Koesel im Cafe Grün. Man kann, wie der niederländische Fluxus-Mann Bob Lens, aus dem Stadtplan eine Form oder ein Zeichen gewinnen — die City wird fußartig von Straßen umgeben — aus Fuß und Spaziergang entsteht eine Installation (Städtische Galerie). Zum Verhältnis „Innen - Außen“ ist den Glasgowern Elsie Mitchell und Derek Scanlan eine irriterende Schaufenstergestaltung am Sielwall eingefallen: In einem ehemalige Tierfutterladen scheint sich (Videobeamer auf Leinwand) der Einkaufstrubel Glasgows abzuspielen (zu sehen von 21 bis 3 Uhr).

Neu an dem Projekt ist nicht der Eingriff in den öffentlichen Raum. Neu ist, daß sich das Medium „Druck“ so massiv präsentiert. „Haut der Stadt“ geht auf Pläne des Vereins für Manuelle Druckgrafik“ in der Hohentorsheerstraße zurück. In Kooperation mit der Kulturbehörde (Städtische Galerie) und dem Berufsverband BBK wurden ABM-Stellen ermöglicht und ein Etat von ca. 40.000 Mark realisiert (Kultur- und Wirtschaftsbehörde, Sponsoren).

Die BSAG leiht dem Projekt einen Gelenkbus, den Steve Faulkner (London) mit „Bildern und Texten aus dem Stadtleben“ verziert hat und der in regulären Linienverkehr werben wird. Am Sonntag um 16 Uhr wird er allerdings zu einer Rundfahrt durch Bremen starten, zu etlichen der „Druckwerke“. Gegen 19 Uhr wird man in der Druckerei Geffken in der Seadnstraße ankommen, wo Jens-Peter Fuhse mit Mannen eine „Improvisation für Druckmaschine, Musiker und Diaprojektion“ startet.

Projektmitte ist die Städtische Galerie. Das Haus ist voller Druckwerker, die alte Hosen pressen oder gestempelte Filmschnipsel zu einem Kurzfilm zusammenkleben. Auch hier: junge Leute mit viel Phantasie, ungemein produktiv, unbekümmert um den kunsttheoretischen Diskurs, der Markt scheint weit. Flüchtige Kunst. Scheinbar weit weg auch die trockenen Ansprüche eines „Symposiums“. Und doch so nah dran. Symposion, griechisch: Trinkgelage (Duden). Prost! Burkhard Straßmann

Eröffnung in der Städtischen Galerie, Buntentor 112, Samstag 20 Uhr. Ausstellungsdauer bis 14.Juni. Nicht verpassen: Werder Bremen — FC Nürnberg am 16.Mai mit Bandenwerbung von Bogdan Hoffmann. Und Brot kaufen bei Effenberger / Vor der Steintor: Wird in Kunst von Niels Staal eingewickelt.

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