: Falsch gespielt, falsch gedacht
Eishockey-WM, Viertelfinale: Deutschland — Schweiz 1:3/ Weil die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft sich für besser hielt, spielte sie gegen die Schweiz schlechter ■ Aus Prag Peter Unfried
Heute ist, wie man so schön unüberlegt zu sagen pflegt, schon längst wieder ein anderer Tag und somit gar vieles nicht mehr so, wie es gestern gewesen sein könnte, von vorgestern ganz zu schweigen. Doch unmittelbar hernach, nach dieser völlig unerwarteten und somit fast schon zwangsläufigen 1:3-Playoff-Niederlage gegen die Schweizer war der Katzenjammer groß.
Von Reindl Franz bis zum Hegen Dieter rätselten die verhinderten Helden, woran es wohl gelegen haben könnte, daß man ausgerechnet gegen die Schweizer hatte klein beigeben müssen, nachdem man sich doch den Großen bereits mehr als ebenbürtig gezeigt hatte. Und scheiterten somit letztlich genau an dem Kategoriendenken, das sie doch eigentlich selbst ad absurdum geführt hatten.
„Mei, die Schweizer“, vermutete beispielsweise jener, den wir ungestraft Didi rufen dürfen, nachdem es Gott, seine Frau und die Welt auch längst tun, „die wußten halt, daß wir das Spiel machen mußten, deren Taktik ist aufgegangen.“ Und Franz Reindl, der nun zum Technischen Direktor avancieren wird, aber dennoch seinen Job als Coach der Verteidiger dafür nicht hinschmeißen mag: „Die Erwartungshaltung war bei uns größer.“ Selbst der eigentlich überhaupt nicht zur Euphorie neigen wollende Kapitän Gerd Truntschka war hundertprozentig davon ausgegangen, „daß wir stärker sind als die Schweizer“.
Und so spielten sie los und vergaßen dabei völlig, daß es zwar Stärkere im Welteishockey geben mag, aber jene heutzutage längst nicht mehr zwangsläufig auch Spiele gewinnen. Nur einer hatte im allgemeinen Geärgere die Übersicht nicht verloren: der Eishockey-Weise aus Prag, der Bundestrainer. „Bei Spielen auf internationalem Niveau“, dozierte Dr. Ludek Bukac, „machen kleine Sachen den Unterschied aus.“ Konkret: „Einsatz reicht nicht, man muß auch intelligent spielen.“ Und genau dies taten die Deutschen nicht. Müde waren sie nach dem vielen Gespiele, die Kraft fehlte, und dann muß man in einem solchen Turnier und in einem solchen Stadium geduldig sein, man braucht „eine taktische Einstellung“ (Bukac).
Die hat der Luganesi John Slettvoll den Schweizern beigebracht. „Disziplin auf dem Eis ist das einzige, was zählt“, sagt der vom Züricher 'Sport‘ einmal als „Totengräber des Eishockeys“ gescholtene Schwede, dem nunmehr nicht nur jenes Blättchen den Siegerkranz mitflechten helfen wird. So einfach ist das: „Die Gegner kommen und gehen, wir spielen unser Spiel“, sagt Slettvoll und kratzt sich an der Denkerstirn. Beziehungsweise, man spielt es nicht. Denn „wenn's nicht geht, muß man zurückspielen“. Und das taten die Schweizer Riegler so ausgiebig, bis die Bayern auf der Gegenseite genug hatten, losstürmen zu müssen glaubten, Fehler machten und bestraft wurden.
Und ausgeschieden sind. Obwohl die Zimmer im Prager Wolkenkratzerhotel „Forum“ bis Montag gebucht waren, der Kapitän Truntschka „insgeheim mit einer Medaille gerechnet“ hatte, und jeder, so der insgesamt recht überzeugende Toremacher Hegen, gespürt zu haben glaubte, „daß wir es diesmal hätten packen können“.
Trotzdem ist man nicht unzufrieden: „ein paar mal sehr gut gespielt, insgesamt 8:4 Punkte geholt“ (Reindl), eine „kleine Euphorie ausgelöst“ (Hegen) und so etwas geprägt wie den deutschen Stil. Was ist das, bitteschön, Herr Reindl? „Mit Euphorie spielen und trotzdem kontrolliert!“ Der Doktor Bukac soll nun diesen Stil kultivieren und fortentwickeln, und der hat auch schon eine Ahnung wie. Zum einen brauche man zukünftig mehr „tough guys“, körperliche Stärke für Abwehr wie für Angriff, zum anderen müsse der Kopf noch stärker zu mehr als zum Schütteln nach Strafzeiten benutzt werden.
Auch wenn die Jungs also heute mittag längst wieder zu Hause vor den Fernsehern sitzen und zuschauen, wie die Schweizer im Halbfinale womöglich gar die Schweden ins Messer laufen lassen, wir können beruhigt feststellen, daß es so schlecht nicht um das deutsche Eishockey bestellt ist. „Es muß weitergehen“, hofft denn auch Dieter Hegen. Und man kann Entwarnung geben: Es wird, Didi, es wird! Schließlich ist morgen schon wieder ein ganz anderer Tag.
Halbfinale am Samstag: Finnland - CSFR, Schweden - Schweiz
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