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SHORT STORIES FROM AMERICA VONMARCIAPALLY

Die neueste Verwicklung in der kleinen Wahl-Serie für das Vorabendprogramm lautet: Wird sich Ross Perot — der millionenschwere Herausforderer von Bush und Clinton zugleich — für die Kandidatur qualifizieren? Es hat in dieser Saison schon schärfere Episoden gegeben: Es gab die Folge, in der Bill Clinton an Jennifer Flowers schnupperte; dann den denkwürdigen Abend, an dem schöne schwarze Männer ohne Hemd über den Bildschirm flimmerten, als Patrick Buchanan über einen vom Lehrerverband finanzierten Film herfiel. (Es war so schön, daß der Vorschlag laut wurde, Buchanan sollte sich aus der Politik raushalten und lieber Erwachsenenpornos drehen.) Aber schwächere Folgen gibt es immer mal wieder — und bei einer Frage wie „Wird der Staat New York seine Wahlgesetze ändern, damit der Nachzügler Perot kandidieren kann?“ dürften die Zuschauer eher gelangweilt den Kanal wechseln. Zu den konkurrierenden Programmen gehören schließlich „Afghanische Rebellen wissen, was sie wollen“ — das gefällt den Amerikanern, weil es ihnen im Vergleich das angenehme Gefühl gibt, in den USA herrsche Stabilität und Vernunft. Dann gibt es noch „Mein Leben: Abtreibung in Amerika“ (auch bekannt als „Die Rückkehr des tödlichen Kleiderbügels“). Scharfe Konkurrenz bieten auch „Todesstrafe in kalifornischen Gaskammern“ (oder „Hitlers zweiter Frühling“) und die üblichen lokalen Dokumentardramen nach dem Muster von „Baby in Brooklyn gekocht“ — und alle mit mehr Pep als die Wahlkampagne.

Aber die Frage der Qualifikation der Kandidaten entbehrt nicht des heimlichen Reizes. Ich habe mir einen kleinen Quiz ausgedacht — als Aufnahmeprüfung für Präsidentschaftskandidaten.

1.Die US-Steuergesetze müssen reformiert werden, weil a) das absolute Steueraufkommen der Mittelklassen-Amerikaner mit einem Einkommen zwischen 30.000 und 50.000 Dollar pro Jahr im letzten Jahrzehnt gestiegen ist, während das Steueraufkommen aller wohlhabenderen Kategorien sank; b) der Anteil der Körperschaftssteuern an den Steuereinnahmen des Bundes mit 6,2Prozent auf den niedrigsten Stand aller Zeiten gefallen ist; c) das reichste Prozent der Amerikaner zwischen 1977 und 1989 siebzig Prozent des Zuwachses in den durchschnittlichen Familieneinkommen auf sich vereinigte — im Vergleich: zwischen 1962 und 1977 blieb der Anteil des reichsten Prozents fast gleich; d) 1989 hatte das reichste Prozent der Amerikaner (834.000 Haushalte mit 5,7 Trillionen Dollar netto) mehr Vermögen als die untersten 90Prozent (84 Millionen Haushalte mit insgesamt 4,8 Trillionen Dollar netto); e) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

2.Bei den Zahlungen für die Arbeitslosen muß man sich etwas einfallen lassen, weil a) 1991 8,4 Millionen Amerikaner keine Arbeit hatten, gegenüber 7,1Prozent im Jahr zuvor; b) 1992 schätzungsweise 3,4 Millionen Arbeitslose aus den Arbeitslosenzahlungen herausfallen werden; c) Präsident Bush im Oktober letzten Jahres sein Veto gegen ein Gesetz einlegte, das beide Häuser des Kongresses verabschiedet hatten, um 6,4 Milliarden Dollar für Arbeitslosenzahlungen an drei Millionen Menschen bereitzustellen. Er änderte seine Meinung erst, nachdem er monatelang eine schlechte Presse gehabt hatte; d) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

3.Das System der US-Krankenversicherung muß sofort geändert werden, weil a) 37 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung haben, gegenüber 28 Millionen im Jahre 1980; b) ein Drittel der Menschen ohne Krankenversicherung Kinder sind; c) die USA beim Kampf gegen die Kindersterblichkeit an 22. Stelle auf der Welt liegen; d) 70Prozent der Nicht-Versicherten über der Armutsgrenze liegen, 66Prozent sind Beschäftigte und ihre Familien, deren Firma keine Krankenversicherung gewährt; e) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

4.Präsident Bushs Krieg gegen die Drogen kann man nur einigermaßen zynisch betrachten, weil a) Manuel Noriega, einer der weltgrößten Drogenschmuggler und Geldwäscher, im Rahmen von CIA-Operationen tätig war, während Bush diese Behörde leitete; b) die CIA zugegeben hat, daß sie an Noriega 322.000 Dollar gezahlt hat; c) 1982 das Kartell von Medellin 500.000 Dollar an Noriega gezahlt hat, unmittelbar bevor Noriega mit Unterstützung der Reagan-Bush-Regierungen in Panama an die Macht kam; d) Bush die Bundesmittel für Drogenbehandlung und -rehabilitation zusammengekürzt hat — in einigen Städten gibt es für Süchtige, die eine Therapie beantragen, Wartelisten bis zu einem Jahr; e) heute aus Panama mehr Kokain in die USA importiert wird als vor der Invasion; f) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

5.Bushs hochgelobte Außenpolitik bedarf einer Neueinschätzung, weil a) Bush die Wirtschaftshilfe für Osteuropa und die ehemalige Sowjetunion zwei Jahre lang verzögerte, obwohl in dieser Region wichtige Märkte für die USA entwickelt werden können und obwohl wirtschaftliche Notlagen den Aufstieg rechter Parteien fördern; b) Bush Saddam Hussein mit Wirtschaftskrediten und Informationen unterstützte, nachdem ihm Husseins Aggressionen gegenüber den Minderheiten im Irak und anderen Ländern längst bekannt waren; c) Bush Noriega zuerst unterstützte und dann einen zweifelhaften Krieg gegen ihn führte, weil er angeblich die Drogenexporte stoppen wollte — nur damit Panama erneut zu einem Drogen- und Geldwäsche-Zentrum wurde; d) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

6.Die 1,5 Trillionen Dollar, die in den nächsten fünf Jahren für amerikanische Militärausgaben vorgesehen sind, sollten anders verwendet werden, weil a) zur Zeit keine militärische Bedrohung diese Ausgaben rechtfertigt; b) Verteidigungsgelder weniger Arbeitsplätze schaffen als andere Bundesausgaben — mit den gleichen Summen könnten beim Bau von Straßen und Krankenhäusern zwei- bis dreimal soviel Menschen beschäftigt werden; c) 11.000 Offiziere mit Universitätsabschluß sich allein zwischen September und Dezember 1991 bei der Armee um Lehrerjobs bewarben — das sind 11.000 Gehälter, die sofort in die Ausbildung gesteckt werden könnten; d) die Armee 30.000 Ärzte ausgebildet hat, die sofort in Krankenhäusern und öffentlichen Gesundheitsprogrammen eingesetzt werden könnten; e) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

7.Bevor eine Bundesbehörde an 275.000 Bundesangestellte den Bestseller Wie kümmere ich mich um mein Kind verteilte, entfernte sie das Kapitel über Geburtenkontrolle. Dies ist falsch, weil a) in jedem Jahr eine Million Teenager schwanger werden; b) 25Prozent der Abtreibungen in Amerika auf Teenager entfallen, c) Aids die sechstwichtigste Todesursache bei Menschen zwischen 15 und 24 Jahren und die wichtigste Todesursache bei Frauen zwischen zwanzig und vierzig Jahren ist; d) alle obengenannten Punkte zusammengenommen.

8.Das amerikanische Ausbildungssystem muß sofort verbessert werden, weil a) in sechzig Prozent der amerikanischen Haushalte im letzten Jahr kein Buch gekauft wurde; b) glauben Sie wirklich, es bedürfte noch eines c)?

Lassen Sie sich bei der Beantwortung Zeit. Taschenrechner sind zugelassen. Kreuzen Sie Ihre Antworten mit einem weichen Bleistift an. Raten Sie nicht, weil unrichtige Antworten von Ihrem Ergebnis abgezogen werden. Sollten Sie vier von acht Fragen richtig beantworten, setze ich Sie auf meine Kandidatenliste für die Novemberwahlen. Wenn nicht, greife ich wieder auf Adlai Stevenson zurück, der so viele Fragen richtig beantwortete, daß die amerikanischen Wähler zweimal gegen ihn stimmten (zugunsten von Eisenhower).

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