: Rattenverbrennung
Eine Pressekonferenz und zwei Filme ■ Aus Cannes Thierry Chervel
Sharon Stone sieht aus wie in Basic Instinct, sehr blond, sehr großes Lächeln, perfekt, kühl wie aus einer Martini-Reklame. Zur Pressekonferenz trägt sie ein kurzes, paillettenbesticktes Kleid, stilisierte Sonnenblumen verdecken die Brüste. Sie raucht. Aber raucht sie tatsächlich oder will sie nur unterstreichen, wie sehr sie im Leben ihrer Rolle ähnelt?
Vitali Kanewski hat in Cannes vor zwei Jahren mit Bouge pas, meurs et ressuscite die goldene Kamera gewonnen, die für den besten Erstlingsfilm verliehen wird. Sein zweiter Film, Ein unabhängiges Leben, sollte auf der Berlinale laufen. Der französische Produzent hatte ihn in letzter Sekunde zugunsten von Cannes zurückgezogen.
Der Film ist die Fortsetzung des Erstlings. Valerka ist inzwischen 15, Stalin herrscht immer noch. Ein finsterer Film, schwarzweiß, obwohl er in Farbe gedreht wurde. Nur in ein paar poetischen Traumbildern und in Gewaltszenen wagen sich Farben hervor. Ein Schwein wird abgestochen, eine Abtreibung, ein Bauer übergießt Ratten mit Benzin, die ihm sein letztes Mehl weggefressen haben. Er steckt sie an. Valerka befreit sie aus den Käfigen. Schreiende Flammenbündel rasen ins Haus, das explodiert. Der Film erzählt Valerkas Reise aus der Gefängnisstadt Sutchan im äußersten Osten in den hohen Norden auf dem Fluß Amur. Überall ist es gleich finster, gleich matschig und kalt. Die Entwicklung Valerkas zum Erwachsenen wird mehr im Pressematerial behauptet, als daß sie im Film zu sehen wäre. Der Film ist schwer zu verstehen, verstört, ein Ausbruch der Verzweiflung, der nicht mehr zu Form und Artikulation findet.
Alain Delon spielt in Le retour de Casanova den alternden Lebemann. Der Film beruht auf einem Roman von Arthur Schnitzler, der berühmte Jean-Claude Carriere hat das Drehbuch geschrieben, und es ist gut gemacht. Sehenswert ist der Film wegen des geistreichen Fabrice Lucchini als Casanovas Kammerdiener und wegen Alain Cuny in einer Nebenrolle als steinalter und -harter Marquis. Casanova wird in der Geschichte von einer zwanzigjährigen und Voltaire-lesenden Schönen schlicht und einfach abgewiesen. Sie fühle, daß er einer Epoche angehört, die bald untergeht, sagt sie ihm ins Gesicht. Ferner habe er Mundgeruch.
Delon gegenüber ist der Regisseur Edouard Niermans allerdings zu höflich. Vielzusehr darf er darauf achten, daß man sieht wie Delon Casanova spielt — statt nur sich selbst als alternden Beau hinzuhalten, der er schließlich ist. Der dokumentarischen Seite des Kinos weicht Delon aus durch eine Überbetonung der fiktionalen Seite. Es geht ums Altern. Sich selbst stellt Delon für die Rolle nicht zur Disposition. Gerade das ist allerdings interessant zu beobachten.
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