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„Einfach beschissen, das Ergebnis“

Beispiel Hannover: Die ÖTV-Mitglieder reagieren durchweg enttäuscht auf die Tarifvereinbarung  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Neben der langgestreckten grauen Waschhalle des hannoverschen Straßenbahnbetriebshofes Glocksee stehen um 12.15 Uhr noch immer fast vierzig Stadtbahndoppelzüge auf den Abstellgleisen. Zwar ist die Versammlung, auf der ÖTV und Betriebsrat den Bus- und Straßenbahnfahrern der ÜSTRA-Verkehrsbetriebe den Tarifabschluß erläutert haben, schon einige Zeit zu Ende, doch nur ein einziger grüner Zug der Linie 16 kurvt langsam aus dem Depot. Obwohl der Streik ausgesetzt ist, denken an die Aufnahme der Arbeit die wenigsten der Fahrerinnen und Fahrer, die vor dem roten Flachbau mit den Aufenthaltsräumen über das Ergebnis debattieren. „Die Urabstimmung, wann ist die noch mal?“ fragt ein blonder Straßenbahner in blaugrauer ÜSTRA-Uniform und antwortet gleich selbst: „Die geht doch sowieso in die Hose, diesen Abschluß nehmen doch alle nicht an.“ Mehr als 95 Prozent der FahrerInnen hier bei der ÜSTRA sind in der ÖTV organisiert. Das Zeugnis allerdings, das sie ihrer Gewerkschaft nach diesem Abschluß austellen, fällt eindeutig aus: „Klar ist das enttäuschend“, sagt eine Kollegin. „Ist eine Farce, dieser Abschluß“, sagt der nächste Fahrer. Lange muß man fragen, bis man endlich einen Kollegen findet, der das Ergebnis wenigstens mit „Mehr war wohl nicht drin“ kommentiert.

Drinnen im Aufenthaltsraum mit seinen Stühlen und Tischen aus Stahlrohr und Plastik wird noch in Gruppen gerechnet. Drei Straßenbahner aus Werkstatt und Verwaltung haben durch jeden der acht Streiktage über fünfzig D-Mark verloren. Das, so sagen sie, komme auf keinen Fall wieder rein, durch das was der Streik jetzt mehr an Prozenten gebracht hat. Schlicht „beschissen“ nennt auch Antonio Liguori, für den Fahrdienst zuständiger ÜSTRA- Betriebsrat, das Ergebnis. Für die ÜSTRA-Fahrer bringe der Abschluß eine Lohnerhöhung von exakt 5,38 Prozent. „Vielleicht unter 6, aber deutlich mehr als 5,4“ hat er in jedem Fall erwartet. Ihm geht es auch um das Prinzip. Schon weil die Politiker die Streikenden hätten schmoren lassen, sind für ihn die paar Mark mehr viel zuwenig.

Auch zuvor auf der zentralen ÜSTRA-Betriebsversammlung hat keiner der Redner sich für die Annahme des Ergebnisses stark gemacht. Die örtliche ÖTV und der Betriebsrat wollten kein Votum vorgeben. Die Kollegen, die danach das Wort ergriffen, legten mehr oder minder lautstark Protest ein. Betriebsrat Antonio Liguori wirbt anschließend vergeblich für die Aufnahme der Arbeit: „Wer jetzt nur zwei Stunden fährt, bekommt eine ganze Schicht bezahlt.“ Doch die meisten Fahrer machen sich lieber auf den Heimweg, und die Enttäuschung ist ihnen dabei anzusehen.

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