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"Rio" schon gescheitert das Wasser steigt

■ Die Klimaschutzkonvention, die beim UNO-Umweltgipfel Anfang Juni in Rio unterzeichnet werden soll, verpflichtet niemanden zur Verminderung des CO2-Ausstoßes. Die EG konnte sich nicht auf ...

„Rio“ schon gescheitert — das Wasser steigt Die Klimaschutzkonvention, die beim UNO-Umweltgipfel Anfang Juni in Rio unterzeichnet werden soll, verpflichtet niemanden zur Verminderung des CO2-Ausstoßes. Die EG konnte sich nicht auf eine Energiesteuer einigen. US-Präsident Bush hat sich durchgesetzt.

Müde und erschöpft von nächtelangen Verhandlungen über eine UN-Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre haben die Klima-Experten der Industrienationen offensichtlich den Warnruf ihrer Kollegen vom UN-Umweltschutzprogramm überhört. „Die Umwelt ist schlechter als vor zwanzig Jahren, wir haben nicht mehr viel Zeit“, mahnte der leitende UN-Umweltschützer Mustafa Tolba am Donnerstag bei der Vorlage seines jüngsten Berichts zur Lage der Erde. Die erschreckende Bilanz: Eine Milliarde Menschen atmen ungesunde Luft, Unterernährung und Hautkrebs sind immer häufiger, und die Verschmutzung von Luft, Wasser und Ackerland nimmt zu. Die Klimaexperten scheinen Tolbas Analyse verschlafen zu haben. Denn wie hätten sie wenige Stunden später guten Gewissens einen Kompromiß absegnen können, der nichts tut, um die allmähliche Erwärmung der Erdatmosphäre zu stoppen.

Sozusagen in letzter Minute haben sie es zwar geschafft, dem UN-Umweltgipfel Anfang Juni in Rio eine Klimaschutzkonvention zu präsentieren, die dort in einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet werden kann. Nach zweijährigen Verhandlungen und dem erfolgreichen Widerstand der Amerikaner, sich auf verbindliche Grenzwerte und einen vorgegebenen Zeitrahmen einzulassen, liegt jetzt aber nicht mehr als eine vage Absichtserklärung vor.

Der Entwurf, der von einem 25köpfigen Planungskomitee formuliert wurde, mußte am Freitag noch von den 130 Mitgliedern des Plenums angenommen werden. Wesentliche Änderungen sind aber nicht mehr zu erwarten. Man verspricht, Maßnahmen zu verabschieden, die die Kohlendioxidemissionen und andere Treibhausgase in Zukunft „mildern“. Gestrichen ist die Forderung der EG, die Emissionen bis zum Jahr 2000 auf ihrem Niveau von 1990 einzufrieren. Dafür heißt es jetzt sehr schwammig, zur Veränderung der langfristigen Trends in der Entwicklung der Abgase würde eine Rückkehr zu „früheren Niveaus“ am Ende des Jahrzehnts beitragen. Mit anderen Worten, es wäre gut, um die Jahrhundertwende weniger Dreck zu produzieren.

Dan Becker vom Sierra Club, der größten Umweltschutzorganisation in den USA, fragt sich entsetzt, welche „früheren Niveaus“ gemeint sind. Die Formulierung einige Zeilen später, daß man zum Niveau der Emissionen von 1990 zurückkehren wolle, befriedigt den Umweltschützer nicht. Der Text lasse sich derart interpretieren, daß die CO2-Emissionen im Jahr 2000 das Niveau vom Vorjahr erreichen dürften und man irgendwann später zu dem geringeren Ausstoß von 1990 zurückkehren müsse. „Euer Kanzler Kohl hat die Umwelt verkauft. Er hat sich dem Druck von George Bush gefügt“, klagt Becker. Die Klimaschutzkonvention sei nun bedeutungslos und damit letztlich auch der Gipfel in Rio. Die niederländische Verhandlungsdelegation habe bis zuletzt versucht, die härteren EG-Standards durchzusetzen. Aber ohne die Deutschen im Rücken hätten sie auf verlorenem Posten gestanden. Auf das Durchhaltevermögen der Deutschen hatten die Umweltschutzgruppen hier große Hoffnungen gesetzt. Vergebens. Für Kohls Nachgeben — Bush lag dem Mann aus Oggersheim mit seinem Anliegen in den letzten Tagen ständig in den Ohren — „müssen jetzt unsere Kinder und Enkelkinder zahlen“, meint ein resignierter Dan Becker.

Bush wird jetzt nach Rio fahren. Bisher hatte sich der US-Präsident geziert. „Ich werde nicht nach Rio gehen und einen schlechten Deal machen oder mich an einem schlechten Deal beteiligen. Ich werde keine Vereinbarung unterzeichnen, die nicht die Umwelt oder die Wirtschaft dieses Landes schützt“, hatte der „Umweltpräsident“ — als der war er im Wahlkampf 1988 auf Stimmenfang gegangen — erst im vergangenen Monat amerikanischen Geschäftsleuten versprochen. Er wagt es nicht, einer auf billigem Öl und Kohle aufgebauten Wirtschaft energiepolitische Vorschriften zu machen, schon gar nicht mitten in einer Rezession. Daß die USA wegen ihrer verfehlten Energiepolitik mit nur sechs Prozent der Weltbevölkerung fast ein Viertel aller weltweiten CO2- Emissionen auf ihre Kappe nehmen müssen, spielt für ihn dabei nur eine untergeordnete Rolle. Der jetzt von den UN erarbeitete Kompromiß verpflichtet Bush und die US-Industrie jedenfalls zu gar nichts, deshalb kann er auch getrost gen Rio ziehen.

Billionen von Dollar, bis zu 95 Milliarden pro Jahr, würde die von den Europäern angestrebte Verringerung des Kohlendioxidausstoßes die amerikanische Wirtschaft kosten, diese düstere Prognose verkündete erst kürzlich John Shanahan von der „Heritage Foundation“. Allein bis 1997 würden 700.000 Amerikaner dadurch ihren Job verlieren, rechnete der konservative Umweltexperte den Hörern einer Radio- Talk-Show vor. „Ich hab' die Umweltschützer satt“, meinte denn auch ein Anrufer, dem strikte Grenzwerte zu sehr nach „Umwelt-Sozialismus“ rochen. Shanahan forderte mehr Forschung über den Treibhauseffekt — „wir kennen seine Auswirkungen nicht genau“ — und ein Abwägen des eventuell eintretenden Schadens gegen die Kosten von notwendigen Schritten, ihn zu verhindern, und brachte damit die Position der Konservativen in den USA auf den Punkt. Das Argument, der durch den Treibhauseffekt langfristig verursachte Schaden könne die USA teurer zu stehen kommen als entsprechende Gegenmaßnahmen, hat in Shanahans Gleichung keinen Platz.

Untersuchungen von Regierungsbehörden, die vorrechnen, daß die USA mit bereits angelaufenen Programmen — vor allem Energiesparmaßnahmen — bis zum Jahr 2000 fast die gleiche Menge an Kohlendioxid reduzieren könnte wie die EG mit ihrem Plan, belegen in der Logik des Weißen Hauses nur, daß feste Grenzwerte oder ein Zeitrahmen überflüssig sind.

Bill Clinton, der voraussichtlich bei den Präsidentschaftswahlen im November von den Demokraten gegen Bush ins Rennen geschickt wird, verspricht auf Wahlveranstaltungen Großes in der Umweltpolitik. Er will die USA vom Öl unabhängiger machen, Energie soll künftig besser genutzt und so bis zum Jahr 2000 20 Prozent eingespart werden. Unter seiner Leitung soll mehr Geld in die Erforschung alternativer Energien gesteckt werden und natürlich hätte er einen Vertrag mit Grenzwerten zur Verringerung von Kohlendioxidemissionen unterzeichnet. Seine Kritiker in Arkansas, wo er seit Ende der 70er Jahre Gouverneur ist, wissen mittlerweile bei Clinton Theorie und Praxis zu unterscheiden. Auf die Umweltverschmutzung der hier zentralen Geflügelindustrie habe er zwar mit großen Worten, aber bisher wenig Taten reagiert. „Im Norden von Arkansas verlieren wir langsam wegen der (Abwässer der) Geflügelindustrie unser Grundwasser, und Clinton hat bisher noch nicht gesagt, was er dagegen tun will“, sagt Sam Ledbetter, Anwalt für Umweltfragen. Ob die Amerikaner mit Clinton wohl endlich ihren Umweltpräsidenten bekommen würden? Martina Sprengel, Washington

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