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Lehrjahre bei Günter Abramzik

■ Detlev Claussen über seine frühen Philosophie-Studien bei dem Domprediger

Am vergangenen Freitag wurde langjährige Bremer Domprediger Günter Abramzik beerdigt, er hatte noch bis vor wenigen Monaten als Domprediger gewirkt. Der Frankfurter Linksintellektuelle Detlev Claussen kennt Abramzik seit Beginn der 60er Jahre — einen Abramzik, den die Gottesdienstbesucher vielleicht so nicht kannten.

taz: Du warst Anfang der 60er Jahre Schüler des Dompredigers Abramzik. Was war damals so besonders an ihm?

Detlev Claussen: Bremen war zu Beginn der 60er Jahre eine in sich geschlossene, sehr provinzielle Stadt am Westrand Deutschlands. Es gab ja noch keine Universität. Und Deutschland selber war sehr provinziell, auch eine Art Randprovinz des Westens. Da spielte es eine große Rolle, welche individuellen Aktivitäten jemand entfaltete. Und da hatte Abramzik eine ganz besondere Rolle.

Als junger Pastor hat er in Bremen so etwas konstituiert wie eine Form von Öffentlichkeit, die heute durch Medien und Universität längst besetzt ist. Auch in den Schulen gehört Philosophie heute ja zum Beispiel ganz selbstverständlich zum Bestandteil des Oberstufenunterrichts. Abramziks Philosophie-Unterricht am Alten Gymnasium war damals eine Herausforderung gegenüber dem Religionsunterricht, den man von einem Domprediger erwartet hätte.

Bis hin zu den ersten Bremer Marx-Schulungen?

Na ja, das ist natürlich völlig übertrieben. Er war eben offen und brachte dieses Element der Offenheit in die Diskussion hinein. Und so wurden wir zum Beispiel vertraut gemacht mit Leuten wie Ernst Bloch und Hans Mayer, die er persönlich nach Bremen eingeladen hat. Dann kam es immer zu diesen sagenhaften Gesprächen in seiner Wohnung am Markt, wo er sie mit uns jungen Leuten konfrontiert hat.

Als diese theoretische Auseinandersetzung gegen Ende der 60er Jahre dann umgeschlagen ist in politische Aktion — hatte Abramzik damit Schwierigkeiten?

Das denke ich ganz sicher, alle hatten ja ihre Schwierigkeiten. Abramzik war jemand, der Anstöße gab. In den 60er Jahren hatte er doch so etwas wie eine ganz wichtige Ersatzfunktion.

Auch eine Ersatzfunktion für die direkte politische Aktion?

Nein, darum ging es ja nicht. Das war ein Ort, an dem sich Begriffe bilden konnten, eine gewisse Form von Empfänglichkeit für theoretische Überlegungen. Und deshalb waren auch diese Begegnungen mit Hans Maier oder Bloch — Adorno kam damals nach Bremen in eine intellektuelle Steppe — das war natürlich außerordentlich fruchtbar. Und man hat auch Anstöße erhalten, um über den Anlaß unmittelbarer politischer Aktivität hinaus nachzudenken und seine Kenntnisse zu vertiefen.

„.. der Ehre eines Dom- predigers nicht würdig “

Und wie hat Abramzik sich persönlich verhalten?

Ich würde sagen, seine Sache war eben die, ein Medium zu sein, und eine Diskussionsöffentlichkeit herzustellen. Da war auch seine Funktion in der Stadt außerordentlich wichtig. Durch den Dom gerieten die Gespräche in eine größere Öffentlichkeit hinein. Mit seinem Namen ist eine Form von öffentlicher Diskussion verbunden, bei der es im einzelnen gar nicht so wichtig ist, was nun seine politische Position war. Man muß sich das so vorstellen: In einem wirklich sehr geschlossenen Raum war jemand gekommen und hat endlich mal die Fenster aufgemacht.

Aber selber beteiligt hat er sich an der politischen Aktion nicht?

Nein. Das ist ja auch erst später Mode geworden, daß man unabhängig von Alter und Stellung erwartete, daß jeder überall dabei ist. Das führte aber nie zu irgendwelchen ernsthaften Differenzen.

Günter Abramzik

Hat Abramzik damals Schwierigkeiten gehabt, das Fenster tatsächlich aufzukriegen?

Von den etablierten Kreisen wurde vieles von dem, was er machte, als der Ehre eines Dompredigers nicht würdig betrachtet.

Und hatte das Konsequenzen?

Na ja, Bremen war sehr diskret damals. Das fand alles hinter den Kulissen statt. Ich kenne nur die Reflexe, die das in den Bürgerhäusern gehabt hat, und die waren zum Teil sehr idiosynkratischer Natur. Abramzik war damals eine sehr umstrittene Persönlichkeit.

Aber dadurch auch sehr populär?

Ja, sehr. Wenn der Name fiel, wußte man, wovon man redete. Und das paßte ja erstmal überhaupt nicht zu dem, was man vom Dom erwartete.

Hat er das umgekehrt auch geschafft, hat er Euch auf irgendeine Art an die Domgemeinde gebunden?

Die kirchliche Aktivität war eigentlich nie interessant. Abramzik ist überhaupt nicht missionarisch aufgetreten. Und das hinterläßt auch Spuren: Man konnte bei ihm zum Religionskritiker werden, aber einem oberflächlichen Antiklerikalismus hat er nicht zugearbeitet. Seine Leistung war, am Rande des krichlichen Rahmens etwas zu machen und Leute zu gewinnen, die von sich aus nie in die Kirche gegangen wären.

Abramzik ist ja bis zum Schluß populär geblieben — allerdings auf eine andere Art. Stört Dich das?

So innovativ und neu es Anfang der 60er Jahre war, diese eine Öffentlichkeit herzustellen, so hat er sich mit dieser Öffentlichkeit auch mitverändert. Und ich bin der letzte, der es verurteilen würde, wenn er aus diesem Auftreten in der Öffentlichkeit auch seinen narzistischen Gewinn gezogen hat. Seine Aktivitäten mit Werder Bremen usw., die könnte man doch mehr unter Show-Aspekt sehen.

„Jemand, an dem sich die Geister schieden“

Oder ist es nicht so, daß das Populäre, das damals in der Ernsthaftigkeit der theoretischen Auseinandersetzung lag, heute darin zu finden ist, wenn man sich als Domprediger zum Werder-Fan erklärt?

Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Alles, was die Öffentlichkeit heute berührt, bekommt immer ein bißchen die Funktion von Entertainment. Und davor ist man ja selber auch nicht gefeit. Das Politische selbst hat doch heute einen viel stärkeren Entertainment-Effekt als vor 20 oder 30 Jahren. Das ist kein Bremer Spezifikum.

Damals war Abramzik eine umstrittene Figur. Es war jemand, an dem sich die Geister schieden. Das hat sich bis heute natürlich verändert. Aber das hängt viel mehr mit der objektiven Veränderung der Bundesrepublik zusammen.

Fragen: Dirk Asendorpf

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