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DEBATTEAuch über Kosovo ist zu reden

■ Mit der Ausrufung eines neuen Jugoslawien will Serbien eine Diskussion um seine Minderheiten und um die Rechte der Kosovo-Albaner vermeiden

Die Verlagerung des Krieges im ehemaligen Jugoslawien an die grünen Tische in den Verhandlungssälen macht langsam Fortschritte. Wenn Ende Mai die UN-Friedenstruppen in den vier Einsatzgebieten vollständig eingetroffen sind, werden sich die positiven Ergebnisse, die dort zu verzeichnen sind, wo sie ihre Arbeit schon aufgenommen haben, auch in den übrigen Einsatzgebieten auswirken. Leider ist die Stationierung durch die mangelnde Finanzierungsbereitschaft insbesondere der Industrieländer erheblich verzögert worden. Wäre die UNO bei der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas als souveräner Staat mit den 14.000 Mann schon voll präsent gewesen, hätte sich einiges Unheil wohl vermeiden lassen.

In Bosnien werden die Kämpfe in den nächsten Wochen sicher abflauen, denn die serbischen Separatisten haben im wesentlichen die von ihnen reklamierten Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Schießereien wird es weiter, wie auch in Kroatien, hauptsächlich bei Gegenangriffen der Kroaten und Moslems geben. Die Stationierung von Friedenstruppen muß darunter nicht leiden, wohl aber würde ein möglicher Entschluß des Sicherheitsrats, das Mandat der UNO auf Bosnien zu erweitern und die Truppenstärke erheblich zu erhöhen, auf finanzielle Schwierigkeiten stoßen. Hier kann im Wortsinne gemessen werden, was uns der Frieden wert ist.

Bei dieser Sachlage ist zu hoffen, daß sich infolge der Kämpfe in Bosnien nicht neue Kampfgebiete im Bereich der moslemischen Bevölkerung Serbiens und im Kosovo [zu über 85 Prozent von Albanern besiedelte Provinz, deren autonomer Status innerhalb der serbischen Republik 1989 auf verfassungswidrigem Weg abgeschafft wurde, d.R.] entwickeln. Hier würde die Grausamkeit wohl ihren Gipfel erreichen. Es muß also versucht werden, diesen Konflikt nicht erst in Gewalt ausarten zu lassen, sondern ihn vorher am Verhandlungstisch offen zu erörtern. Das bedeutet, die Frage der Minderheiten in Serbien und den Status des Kosovo in das Problem der Nachfolgeregelung für das alte Jugoslawien miteinzubeziehen. Wenn nun Serbien und Montenegro sich als ein neues Jugoslawien im Gewand des alten darstellen, allerdings ohne die Pflicht der Kontrolle über die alte Armee, dann ist eine völkerrechtliche Anerkennung dieses neuen Status nicht erforderlich, und somit könnte der Vier-Punkte-Katalog der Bedingungen der EG für die Anerkennung von Nachfolgestaaten ehemals kommunistischer Regimes nicht zum Tragen kommen. Hierbei wären aber Minderheitenfrage und Kosovo-Status zu erörtern. Dies zu vermeiden hat Belgrad mit der Ausrufung des neuen Jugoslawien versucht. Die EG und die USA verweigern sich folgerichtig diesem serbischen Konzept. Sie verlangen, daß auch Serbien und Montenegro, ob nun gemeinsam oder getrennt, je nach Prüfung nach den Bedingungen des Katalogs als ein neuer Staat völkerrechtlich anerkannt werden. Allerdings verfolgen die EG und die USA eine unterschiedliche Taktik. Während die USA einen Ausschluß des alten Jugoslawien aus dem KSZE-Prozeß verlangen, um so Druck auszuüben, will die EG aus grundsätzlichen Überlegungen keinen Ausschluß, sondern möchte die Frage gerade im KSZE-Prozeß erörtern. Der erste Vorstoß der USA fand übrigens nicht die erforderliche einhellige Unterstützung, Rußland und Rumänien opponierten.

Mit der Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen hat das alles nichts zu tun. Die USA und die EG wollen ja gerade mit Serbien verhandeln. Da ist der Abbruch von Verbindungen, die für Verhandlungen gebraucht werden, nicht sinnvoll.

Das alles ist noch nicht die Lösung, sondern nur der Versuch, der Anwendung von Gewalt Einhalt zu gebieten oder diese wenigstens einzuschränken. Selbst wenn dieser Versuch gelingt, sind noch große Schwierigkeiten zu überwinden.

Da ist zunächst das Problem, die Kroaten zu bewegen, das Mandat für die UN-Truppen nicht wieder infrage zu stellen. Denn anders, als viele Kroaten glauben, bringt die UNO ihnen nicht das Land zurück, das die Serben unter ihre Kontrolle gebracht haben. Darüber muß noch verhandelt werden und möglicherweise eine Volksabstimmung entscheiden, an der die Bewohner der Gebiete, die dort vor den Kämpfen gewohnt haben, zu beteiligen wären; bei ungefähr 1,2 Millionen Flüchtlingen — Serben, Kroaten und Moslems — keine leichte Aufgabe.

Da sind die Kantonsgrenzen in Bosnien, deren Verlauf noch völlig unklar ist. Der bereits einsetzende Entmischungsprozeß in Bosnien bei all dem Elend für die Betroffenen wird wohl erst durch UN-Truppen zu stoppen sein. Ob das Kantonsprinzip, ein Vorschlag der EG, schließlich anwendbar sein wird, hängt von der noch fehlenden Bereitschaft der Serben ab, ein solches souveränes Bosnien auch zu akzeptieren.

Dann müssen befriedigende Lösungen für die Minderheiten in Serbien und ein Status für den Kosovo gefunden werden, der von allen Seiten akzeptiert wird. Und dann müssen all die Fragen geregelt werden, die nun einmal bei dem Verfall eines Staates auftreten, von der Aufteilung der Auslandsschulden bis hin zu Staatsangehörigkeitsfragen. Alles ist noch offen.

Schließlich muß Hilfe beim Wiederaufbau und der Überwindung des Hungers in der ganzen Region zwischen Österreich und Griechenland organisiert werden. All dies wird viele Jahre beanspruchen. Auch wird es nicht nur nach den Regeln des IWF, der EG oder der KSZE gehen. Neue Überlegungen werden erforderlich sein.

Alles in allem, keine Sache für Leute mit kurzem Atem. Für Jugoslawien gibt es keine schnelle Lösung, und die Sonntagsreden, die mit ehrlichen Gefühlen der Menschen spielen, können wir getrost ignorieren. Horst Grabert

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