: Vom alltäglichen Irrsinn
■ Arbeiten von Ida Applebroog sind im Haus am Kleistpark und in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst zu sehen
»Und als Ida kam, kam mit ihr ihr Zwilling, also war sie Ida-Ida« (Gertrude Stein: Ida A Novel).
Ida Horowitz, die Bildhauerin, ist seit 1974 Ida Applebroog, die Malerin. Der Name ist eine Wortschöpfung aus »ap« und »broog« — sinnlos gestammelte Laute, die Ida in einer Phase schwerer Depression allein noch hervorbrachte. Applebroog — der Name bezeichnet eine Identität, die der Überwältigung durch den alltäglichen Irrsinn abgerungen ist.
Nicht nur »Ida-Ida« läßt an Gertrude Stein denken. Es ist auch und vor allem die Art, in der Idas Bildkörper erzählen: immer wieder gleich, auf Unausgesprochenes verweisend, mit unversöhnlicher Ironie. Was die Bilder einfordern, ist ein Nachdenken über die in Verhaltensmustern enthaltene Gewalt.
In Berlin sind derzeit an zwei Orten Bilder von Ida Applebroog zu sehen: eine Art Retrospektive im Haus am Kleistpark und eine sehr konzentrierte Auswahl komplexerer Werke in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst. Die — nach Ulm und Bonn — nun auf ihrer dritten Station befindliche Ausstellung ist die erste größere Präsentation des Werkes der Künstlerin in Deutschland. Neben Nancy Spero, deren Arbeiten vor zwei Jahren im Haus am Waldsee zu sehen waren, gilt die 1929 geborene Ida Applebroog in den USA als prominenteste Vertreterin ihrer Generation. Ansonsten beschränken sich beider Gemeinsamkeiten auf eine dezidiert weibliche Position als Künstlerin und die Ausweitung der Arbeit auf unmittelbar gesellschaftspolitische Aktionen.
Dem Versuch, die Themen von Idas Arbeiten im Hinweis auf allgegenwärtige Gewalt und Unterdrückung in familiären und gesellschaftlichen Strukturen faßbar zu machen, sie darauf zu reduzieren, steht ihre Vielschichtigkeit entgegen. Vielschichtigkeit zunächst im materialen Sinne: Große Bildkörper sind aus mehreren Leinwänden montiert, kleinere Bilder auf Papier zu Ensembles zusammengefaßt, wie etwa die sogenannten Studies zu den Emetic- Fields — eigentlich später entstandenen Variationen —, die mit den frühen Bildern der K-Markt-Serie kombiniert wurden. Immer wieder taucht das Bild im Bild auf. Comicartige Bildfolgen erscheinen in repetitiver Reihung auf querrechteckigen Leinwänden. Neben Motiven traumähnlicher Prägnanz stehen abgemalte Pressefotos. Aus rätselhaften Zusammenhängen gerissene, isolierte Darstellungen einzelner Handlungen wechseln mit solchen, die als Schnappschüsse identifizierbar sind. Szenen voyeuristisch beobachteter Intimität kontrastieren mit den Close-ups in heftiger Reaktion grimassierender Gesichter und den klischierten Bildern von sich umarmenden Paaren, liebenden Müttern, Männerfreundschaften.
Einmal sind die unterschiedlichen Bilder auf mehrere Bildträger verteilt, dann wieder ineinandergeschoben oder in farbig abgesetzte Felder auf eine Leinwand gebracht. Überschreitung und Wahrung der Bildgrenzen folgen einer nicht systematisierbaren Logik, die nach der Betrachtung weniger Bilder schon vertraut wirkt. Formal entspricht dieses Spiel einer ikonographischen Vielfalt, die vom Illustriertenbild Elisabeth II. mit ihrem Hausfrauenimage bis hin zu den Graphiken Goyas reicht.
Oft sind die Bilder mit assoziativen Wortmontagen betitelt, einer Poesie, deren Fremdartigkeit auf Fachterminologie verweist: Emetic- Fields heißt etwa »Brechreiz- Felder«, Lithium-Square läßt an Lithium als Psychopharmaka oder an die Reaktortechnik denken; der vertrautere Name einer US-amerikanischen Supermarktkette hingegen, »K-Markt«, entfaltet ein reiches Vorstellungsbild der Alltagskultur. In die Bilder eingefügte Sätze und Wörter geben den Figuren eine situative Ausdeutung.
Entsprechend zur Menge der Bilder und Bildchen sind die Mittel, mit denen sie hervorgebracht sind, äußerst reduziert. Das auffälligste an Ida Applebroogs Bildwelt ist die sparsame Farbigkeit: ein Grün, ein Rot, ein Orange, Erdfarben, Schwarz und Weiß. Ihr Bestiarium — Anzugmänner, Revuegirls, Bodybuilder, Ärzte, Mütter, Senile, Schönheitsköniginnen, Schwerverletzte, Verehrer, Amokläufer — ist mit wenigen Strichen aus monochromen Hintergründen entwickelt, zumeist mit glibbrig-transparenten, in der Grundfarbe des Bildes getönten Linien. Wenig Farbe, die mit dem Rhoplex-Binder abgemischt wurde. Nur selten verleiht eine durch die Dichte des Farbauf- beziehungsweise -abtrags bestimmte Binnenzeichnung den Figuren statuarische Präsenz.
Die Aufforderung, dem Dialog zwischen den Bildern zu folgen und dem, was sie über die Gewalt der vorsprachlichen Regelung von Verhaltensmustern mitteilen, wird besonders deutlich in Idas Bild-Kommentar zu Willem de Koonings Frauenbildern. Two Women (after de Kooning) I-IV führen in mehreren Aspekten vor, wie die Entkleidung des weiblichen Körpers mit dessen Entwürdigung einhergeht. Zitate markieren den Zusammenhang von de Koonings Frauen mit Pin-ups und pornographischen Graffiti. Ein Chor posierender Männlichkeit begleitet das zentrale Motiv — Männer, die sich als Stereotypen auf angefügten Leinwandstreifen reihen.
Die überlebensgroßen Frauenfiguren haben diesen lächerlichen Mannsfiguren keine intakte Schönheit entgegenzusetzen, die unverschämte Einfachheit der durchgezogenen Umrißlinien ist dafür von weit größerer Ausdrucksqualität als die zerfetzende Expressivität des männlichen Pinselduktus eines de Kooning. Auch wer dessen Two women niemals gesehen hat, begreift, welchen Affront Idas Bilder nicht nur diesen, sondern einer langen Tradition der Malerei gegenüber darstellen. Die eigentümliche Wirkungskraft, die Idas Bilder auf simpel erscheinende Weise entfalten, erklärt sich aus der gradezu plumpen Allgemeinverständlichkeit, erreicht durch eine kompromißlose Subjektivität. Ullmann-M. Hakert
Bis 31. Mai NGBK, Tempelhofer Ufer 22, Kreuzberg 61 und Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6/7, Schöneberg. Mo.-Fr. 10-17, Sa./So. 12-18 Uhr.
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