: Fristenlösung verfassungswidrig?
Kaum gibt es einen ersten Kompromiß für die Fristenregelung, schon gibt es erste Rufe in Richtung Karlsruhe/ Ernst Benda hält die Lösung für verfassungswidrig/ Monika Frommel widerspricht ihm ■ Von Karin Flothmann
Berlin (dpa/taz) — Nachdem am vergangenen Freitag der neue Kompromißvorschlag zur Neuregelung des Paragraphen 218 vorgestellt wurde, überschlugen sich am Wochenende die Pro- und Contra-Stimmen. Vor allem innerhalb der Union regte mann sich über die abtrünnigen DissidentInnen der CDU auf, die sich für den SPD-FDP-Kompromiß aussprachen. Zugleich wurde ebenfalls aus Kreisen der CDU/CSU der Ruf nach einer erneuten Verfassungsklage laut.
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, der 1975 an der Karlsruher Ablehnung der Fristenlösung beteiligt war, gab denn auch gleich ein passendes Statement ab. Er hält den von SPD, FDP sowie Abgeordneten von CDU und Bündnis 90 vorgelegten Gruppenantrag für eine straflose Fristenlösung mit Beratungspflicht für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Benda sagte am Samstag im Saarländischen Rundfunk: „Wenn man von den Grundsätzen der damaligen Entscheidung ausgeht, dann habe ich keinen Zweifel daran, daß die Regelung mit den damals aufgestellten verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar ist.“ Die 1975 behandelte Abwägung zwischen dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung und dem Recht des werdenden Lebens auf Schutz sei eine derart „fundamentale Frage“, daß sie auch von einem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Meinungen „völlig unberührt“ bleibe. Die entscheidende Frage sei, wer bei einer Schwangerschaft zu entscheiden hätte. Das höchste deutsche Gericht habe 1975 erklärt, daß „das Recht des werdenden Lebens den Vorrang genießen muß“ vor dem Recht der Frau, über ihr eigenes Leben zu bestimmen.
Die Strafrechtlerin Monika Frommel hält diese „herrische“ Einstellung Bendas für unsinnig. Zum einen gehe Benda zum wiederholten Male von der veralteten Karlsruher Entscheidung aus, ohne die heutige veränderte Realität dabei zu berücksichtigen. „Natürlich gibt es einen Wandel in der Rechtsprechung,“ meinte die Frankfurter Professorin gestern gegenüber der taz, „und natürlich sind die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse relevant, wenn es zu einer erneuten Verfassungsklage kommt.“ 1975 seien die Karlsruher Richter von ganz anderen Prämissen ausgegangen. Damals sei nicht über das Selbstbestimmungsrecht, sprich das Persönlichkeitsrecht einer Frau diskutiert worden. Dieses Manko müsse das Verfassungsgericht, nach Auffasung Fromms, heute sehr wohl berücksichtigen. Denn immerhin ginge es bei der Frage der Selbstbestimmung um Artikel1 des Grundgesetzes, um die unantastbare Würde des Menschen.
Die Strafrechtlerin räumte dem Gruppenantrag zur Fristenregelung, auch hinsichtlich einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, große Chancen ein. Denn gerade bei einer jetzt möglichen überfraktionellen Bundestagsentscheidung für die Fristenregelung könne Karlsruhe sich nicht gegen diese mehrheitlich getragene Lösung stellen. Äußerungen à la Benda hielt Monika Frommel für die „Schwarzmalerei von Strategen“, denen es darum ginge, Unsicherheit zu schüren.
Auch Jürgen Schmude, letzter Justizminister der sozialliberalen Koalition und heutiger Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hielt die von FDP und SPD erarbeitete Fristenregelung durchaus für verfassungskonform. Seiner Meinung nach hat „Karlsruhe in seinem Urteil von 1975 deutlich gemacht, daß eine Strafandrohung keineswegs das einzige Instrument zum Schutz des Lebens ist.“
Und auch die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend, Edith Niehuis (SPD), trat Benda mit scharfen Worten entgegen. „Der Mangel an Selbstzweifel, den Herr Benda demonstriert, ist schon skandalös“, meinte sie. Das Urteil von 1975 enthalte frauen- und familiendiskriminierende Passagen, die von mangelnder Kenntnis und Lebenserfahrung mit Kindern zeugten. Damals habe ein männerdominierter Senat gerichtet, der in seiner Zusammensetzung selbst dem Gleichheitsgrundsatz nicht entsprach.
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