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„Der Fisch stinkt zuerst am Kopf“

■ Bundeswehr-Generalinspekteur Naumann kritisiert seine Kollegen: „Zu bequem und zu weinerlich“/ Kohl prophezeit zu Beginn der Kommandeurstagung weltweit „Kampfeinsätze zur Friedenssicherung“

Leipzig (dpa/taz) — So haben wir uns die Bundeswehr schon immer gewünscht. Bequem, bar jeden soldatischen Sendungsbewußtseins, defensiv im Denken und Auftreten und im Zweifel eher weinerlich als forsch. Glaubt man dem obersten Chef der Truppe, Generalinspekteur Naumann, ist die Bundeswehr zu einem Sammelbecken verweichlichter Pazifisten degeneriert.

In seiner Rede zum Auftakt der Kommandeurstagung in Leipzig zog Naumann alle Register zur Wiedererweckung soldatischen Geistes. „Ein Fisch stinkt zuerst am Kopf“, erläuterte er seinen Marschbefehl für Generäle und Admiräle. Die Offiziere sollten endlich die „Routine und Erstarrung“ der Truppe durchbrechen und sich mehr um ihre Leute kümmern, die viel zu „bequem und weinerlich“ geworden seien.

Die Soldaten müssen nach Ansicht von Naumann „hart, fordernd und gefechtsnah ausgebildet werden“. Damit nähmen die Kommandeure ihre Verantwortung und Fürsorgepflicht für die ihnen anvertrauten Menschen ernst. Harte Ausbildung sei kein Gegensatz zu moderner Menschenführung. Sie müsse ausgerichtet sein an der Realität des Einsatzes. Die Kommandeure sollten mit der gebotenen Strenge dann einschreiten, wenn Führer und Unterführer glaubten, der Bequemlichkeit der Soldaten nachgeben zu müssen.

Die Streitkräfte müßten sich bereits jetzt darauf einrichten, zu humanitären Aktionen der UNO herangezogen zu werden und möglicherweise auch zu friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen. Die Bundeswehr sei aber heute aus dem Stand heraus nicht ohne weiteres in der Lage, sich an friedenserhaltenden Missionen größeren Umfanges zu beteiligen.

Ein General resümierte nach dem allgemein empfundenen „forschen“ Auftritt von Naumann: „Der Generalinspekteur hat seine Kritik doch etwas weit überzogen.“ Aber Bundeskanzler Kohl hieb genau in dieselbe Kerbe. Hatte sein Verteidigungsminister noch kürzlich erklärt, die Truppe sei schon aus psychologischen Gründen für einen weltweiten Kampfeinsatz nicht zu gebrauchen, forderte Kohl in Leipzig genau dies.

Der jetzt mit der SPD erzielte Konsens über Blauhelmeinsätze der UN sei auf Dauer ungenügend. Deutschland könne und dürfe sich der Pflicht zur Teilnahme an Kampfeinsätzen unter dem Banner der Vereinten Nationen nicht entziehen.

„Wir müssen zu unseren Pflichten stehen, wenn wir international voll handlungs- und gestaltungsfähig sein wollen.“ Zur zukünftigen Aufgabenstellung der Bundeswehr verwies Kohl auf die Nato. Im Mittelpunkt der neuen Nato-Strategie stehe die Fähigkeit zur Krisenbewältigung. Ergänzend zur Nato solle eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelt werden.

Die Westeuropäische Union (WEU) werde als Verteidigungskomponente der Europäischen Union ausgebaut. Der Auftakt dazu soll ein deutsch-französisches Armeekorps als Kern einer europäischen Sicherheits-Streitkraft sein, die Kohl und Francois Mitterrand am 21. und 22. Mai aus der Taufe heben wollen. Das deutsch-französische Korps wäre der erste Durchbruch zu einer Sicherheits-Streitmacht der Europäer, die auch im UNO-Auftrag eingesetzt werden könnte.

Deutsche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen aber nach wie vor bei Kampfaufträgen außerhalb des Nato-Bündnisgebietes. Neben friedenserhaltenden Missionen ist aber auch an Einsätze in Europa im Grenzraum des Bündnisgebietes — und damit außerhalb des Nato-Rahmens — gedacht, hieß es gestern in Bonn. JG

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