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Komische Bestien

■ »Nächtlicher Tanz« von Aleko Zabadse

Nächtlicher Tanz — das klingt nach einer weiteren düsteren Variation auf die Tage der Finsternis, mit denen Alexander Sokurow Ende der achtziger Jahre die Welle apokalyptischer Leinwandelegien vom abstürzenden Sowjetstern losbrach. Doch der zweite Film des Georgiers Aleko Zabadses verbreitete keine neuesten Neue Nachrichten vom Weltuntergang eines Boris Kustow (die neben Zabadses Film auf dem diesjährigen Internationalen Forum des Jungen Films liefen). Eher ein Danse macabre der toten Seelen auf The Day After, in dem die Katastrophe und deren Schrecknisse schon lange hinter einem liegen und der Stachel des Todes allenfalls zu einem irren Hohngelächter reizt. Verrückt, aber irgendwie geht trotz allem alles weiter, und man schlägt sich wie gehabt durch. Früher einmal versetzte das Lustspiel Rette sich, wer kann dem allzu zukunftsgläubigen Sowjetvolk wohlige Schauer. An Bord eines übermütigen Urlaubsdampfers brachten einige ausgebrochene Zirkustiere die gesamte Besatzung in helle Aufregung. Mittlerweile spielt das ganze Riesenreich »Titanic«, und die Mannen vom bankrotten Staatszirkus gebärden sich in ihrer Panik wie plötzlich freigelassene Bestien ohne Dompteur. Wo einer des anderen Freiwild ist, wird ein gottverlassenes Industriekaff zur Arena. Moshe, der im viel zu weiten Lodenmantel durch die Gassen flattert, raunzt jeden an, Zhiba, sein Freund, hat ein weiches Herz, doch Stiefmutter Babilina will absolut nichts von ihm wissen. Hinter der ist — wie hinter allem und jedem — ein windiger Milizionär her. Mit dem paktiert Maxim... Ein heilloses Durcheinander aus Eigennutz, Willkür und blankem Dilettantismus, vor dem weder Glaube noch Nation bewahren, ob Jude oder Christ, Georgier oder Russe. Das eigentliche Unglück ist die Unfähigkeit zu lieben. Das ist hinreichend komisch, da sich alle angeblich nach nichts anderem verzehren. Als Zhibas Exfrau mit einem neuen Verehrer in der bescheidenen Hütte aufkreuzt, schmeißt er die beiden kurzerhand raus. Als kurz darauf Babilina zwei Verwandte bei ihm einquartieren will, erwürgt er die alte Hexe kaltblütig. Ein Mord aus Not, den Zabadse als banale Farce inszeniert: Zhibas massiger Körper erdrückt die Babilina, die noch ein paarmal mit den Beinen zappelt: Das grausige bleibt in unwirkliches Licht getaucht, das blendet, ohne die Szene zu erhellen. Der Beobachter wird auf ernüchternder Distanz gehalten. Keine spektakuläre Großaufnahme, die den Einzelfall aus dem totalen Chaos isoliert, das immer auch Spuren von Komik zeigt. Die Kamera schlingert in seltsamen Schwenks, die abenteuerlichste Handlungsanschlüsse erzeugen. Irgendwann kommt auch Rembrandts Verlorener Sohn ins Bild. Die Ironie des historischen Schicksals freilich wendete die Geschichte in ihr Gegenteil, und alle sind — wie der junge Iweri — auf der Suche nach dem entschwundenden (Über-)Vater. Die beiden erfolglosen Freudenmädchen jedenfalls müssen retour an jenen Ort, den man nicht einmal mehr dem Namen nach kennt: zurück nach Avantgarde. Roland Rust

Nächtlicher Tanz , Regie und Buch: Aleko Zabadse, Kamera: Lerie Matschaidse, mit Zurab Begalischwili, Amiran Amiranaschwili u.a.; Georgien 1991. Noch bis zum 20. Mai im fsk, Wiener Straße.

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