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Ein exorzistisches Spiel

■ Langhans' Filmreminiszenz „Schneeweißrosenrot“

Ungezogen sei es, heißt es, den neuen Filmclip des Ex-Kommunarden und Vegetariers Langhans, Rainer, nicht mit der gebührenden Nostalgie, dem nötigen Respekt zu würdigen. Haben Langhans und seine Mitstreiterin Christa Ritter doch verwackeltes verschollenes Archivmaterial von den Straßenschlachten der 70er Jahre ausgekramt; verlebte vergessene Gesichter der 68er vor die Kamera gelockt, um ihr fulminantes, exorbitantes Rebirthing in Szene zu setzen: die Erweckung der nunmehr 42jährigen Schmidt-Zwillinge, den annodazumal „verrücktesten deutschen Jet- Set-Groupies der Hipppiezeit“ — Gisela Getty und Jutta Winkelmann, schwarzgelockt.

Schneeweißrosenrot, ganz wie das Märchen von den zänkisch-ränkelnden Schwestern, mußte der Film heißen, und so ambivalent, ambitioniert und anrührend wie das Eswareinmal sollte er sein. Die Inhaltsangabe des Verleihs liest sich etwa so: Gisela und Jutta kommen als eineiige Zwillinge zur Welt... heiraten und machen als „Kasseler Filmkollektiv“ erfolgreich Filme... Funke der 68er... lassen sich am selben Tag scheiden... in Rom im Summer of Love der Hippies wachen sie wirklich auf... „Wir sind die tollsten Frauen der Welt“ ... bändeln mit dem Milliardärsenkel Paul Getty III an ... der wird 73 entführt, mit kupiertem Ohr und gegen 2,8 Millionen Dollar freigelassen... Heiratet Gisela, Jutta liebt Langhans... Armut und Innensuche... Paul steigt durch ein Drogenkoma aus und wird zum Krüppel... Scheidung, lächerlich geringe Abfindung ... Buch über ihr Leben.

Alles — Drogen, Zwillingsforschung, simulierte Identität, Muttergefühle, Geldnot — findet sich in den milchigen Easy-Rider-Sequenzen des Films zur psychedelic music des Ulrich Bassenge wieder. Das ist die Innenwelt. Die Außenwelt besorgen die diversen Interviews der sich mit Liebe Erinnernden: Wim Wenders, Andrej Kontschalowski, Alexander Kluge oder Werner Herzog. Göttinnenanbeter allemal, die auf das Authentische, das Manirierte oder das Schamhafte der Zwillinge wahlweise zu sprechen kommen. Gestandene Regisseure agieren als Statisten, Beleuchter und Bühnenarbeiter, Zeugnis gebend von den akrobatischen Anbandelungs-, den Abseilaktionen Giselas und Juttas. Auf dem Höhepunkt der Verklärung spricht Joachim Lottmann von den beiden Frauen als „Doppelpack Weiblichkeit“, den „beiden Sonnen — in Wirklichkeit Parabolspiegel, die das Licht der anderen gebündelt zurückgeben“.

Dermaßen im Blick der anderen gebrochen, können sie selbst ins Bild gerückt werden, wohl eingeordnet also in Rüschenbluse und marineblauer Strickjacke: die beiden Unzertrennlichen. Langhans weiß, wie er sie zum Weinen bringt, wie eine die andere denunzieren wird („Du hattest immer die Wahnsinnspower! Jaja, Giselchen, Giselchen, wie toll Du alles kannst.“ „Verzogenes Ding! Und immer drohst du mir mit Liebesentzug“), wie sich ihre Wut gegen den Interviewer kehren wird, wie sie sich schließlich versöhnen, in Windeseile mit Lippenstift die Wangen schminken. Clowns. Das exorzistische Spiel funktioniert, es findet unter Gleichen statt. Eine ist so klug, eine so dumm wie die andere, er so klug, so dumm wie beide zusammen. So läßt sich Rebirthing im Film inszenieren, als multimediales Happening in guter alter Guru-Tradition: zusammengefriemelt aus Kindheitssplittern, Mutterworten, Anschuldigung mit kaum Verdrängtem etc.pp. Zwischenzeitlich tritt der ergraute Medizinmann Langhans vor die Kamera, schleicht durch einen alten Hörsaal und raunt „Ich kann es nur im Verborgenen sagen, so sagen, daß es keiner merkt.“

Dabei haben wir es längst gemerkt, der Film melkt es uns aus Mund/Augen/Ohren, entbindet uns der ureigensten Seelenabgründe und krankmachenden Erinnerung. Jaja, der Film ist der ganze, der totale „Inbegriff von 1968 and all that“ (Georg Stefan Troller). Es ist ein „aufwühlendes, beklemmendes Zeitdokument, ein Psychogramm von eindringlicher Intensität“, die Filmbewertungsstellenmännerundfrauen haben wie immer die Hand am Puls der Zeit. Bis sich das Blut staut. (Yeahyeahyeah.) Mirjam Schaub

Schneeweißrosenrot. Ein Film von Rainer Langhans und Christa Ritter. Mit Gisela Getty, Jutta Winkelmann, Paul Getty III, Wim Wenders, Werner Herzog, Alexander Kluge, Bommi Baumann et. al. Musik Ulrich Bassenge. Deutschland 1991, Farbe, 84Min.

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