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Im Dickicht der Stücke

■ Das Theatertreffen beginnt heute in Berlin

Es nennt sich nicht Festival, sondern schlicht »Theatertreffen«. Und anders als bei der längst üblichen Festivalkultur allerorten, die sich möglichst international gibt, bleibt man unter sich: eine Kritikerjury, bestehend aus neun Mitgliedern, von denen je eine Person aus der Schweiz und aus Österreich stammen muß, wählt rund zwölf »bemerkenswerte« Inszenierungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zum Theatertreffen in Berlin aus. Gegründet wurde die Veranstaltung 1964, kurz nach dem Mauerbau. Aber erst 1989 gelang es dem Festspielintendanten Ulrich Eckhardt, Berlins Standortnachteil zum -vorteil auszubauen und Inszenierungen aus dem Nachbarteil der Stadt einzuladen. 1991 setzte man ein kulturpolitisches Signal und lud sechs Inszenierungen aus beiden Teilen Berlins: Theatermetropole Berlin, ein schöner Traum.

Von dieser Politik hat man sich in diesem Jahr abgewandt. Reine »Qualitätskriterien« hätten in diesem Jahr bei der Auswahl eine Rolle gespielt, hieß es von seiten der Jury auf einer Pressekonferenz. Und was gut ist, meint auch teuer — oder warum ist, außer Andreas Kriegenburg mit seinem Woyzeck von der Ostberliner Volksbühne, keine andere Produktion einer ostdeutschen Bühne einer Einladung wert gewesen?

Statt dessen kommen in diesem Jahr einige wirklich recht junge (noch knapp unter der 30!) Regisseure. Ganz neu im Geschäft ist Christian Stückl, der an den Münchner Kammerspielen Werner Schwabs Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos auf die Bühne gebracht hat. Ebenfalls ein Newcomer ist Matthias Hartmann, der in Hannover Emilia Galotti als Rededuell choreographiert hat. Oder auch Andreas Kriegenburg — zumindest für BRD- Ohren ein neuer Name. (Im überregionalen Kulturteil folgt morgen ein Interview mit dem Regisseur.)

Insgesamt ging der Trend in diesem Jahr zu kleineren Produktionen, auch wenn sie aus großen Häusern stammen: Andrea Breth mit O'Caseys Das Ende vom Anfang vom Wiener Akademietheater; Cesare Lievi mit dem Trakl-Fragment vom Blaubart, das er auf dem Lüsterboden des Burgtheaters in Szene gesetzt hat. Aber auch Bewährtes, Gediegenes und Umstrittenes ist dabei: George Tabori bringt seine eigene Inszenierung der Goldbergvariationen mit; Jürgen Gosch machte sich in Bochum an Becketts Endspiel; Dimiter Gotscheff brachte in Köln eine sehr sinnliche Fräulein Julie auf die Bühne; Ruth Berghaus inszenierte in Hamburg Brechts Im Dickicht der Städte; Luc Bondys Schlußchor-Version (Schaubühne) ist ein Heimspiel.

Spartenübergreifend haben die Juroren Johann Kresniks Tanztheater über die mexikanische Malerin Frida Kahlo nominiert. Das Wildern in anderen Disziplinen scheint jedoch an die festen Häuser gekoppelt zu sein, in denen Theaterkritiker bekannterweise ja regelmäßig verkehren. Prinzipieller Natur schien dagegen bisher die Trennung zwischen städtischen und freien Theatern. Der Durchbruch ist zumindest in diesem Jahr gelungen: Andrej Worons Produktion mit der Babel-Bearbeitung Das Ende des Armenhauses wurde zum Theatertreffen eingeladen. Woron allerdings hat den Durchbruch hinter sich. Sein bildnerisches Theater hat längst (internationale) Anerkennung, er selbst arbeitet zur Zeit als Bühnenbildner für die Zadek-Revue vom Blauen Engel mit Ute Lemper in der Hauptrolle, die noch während des Theatertreffens Premiere haben wird. Die Grenzen sind also fließend — fragt sich nur, wo lang geht's? sei

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