: Industriefreie Zone Ostdeutschland
■ Nach einer Studie des Unternehmerverbandes DIHT gibt es kaum neue Industriebetriebe in den neuen Bundesländern/ Gründungsboom bei Dienstleistungen und Handel/ Existenzbedrohende Mieten
Berlin (dpa/ap/taz) — Ostdeutschland wird nach einer Untersuchung des Unternehmerverbandes Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) vorrangig zu einem Standort für Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Für Industriebetriebe haben die neuen Ländern offenbar nur eine geringe Attraktivität. Nur knapp sieben Prozent der neu gegründeten Unternehmen kommen aus den Bereichen Industrie und Bau. Bei einem anhaltenden Gründungsboom stammen dagegen 45 Prozent der Betriebe aus dem Handel und 48 Prozent aus dem Dienstleistungssektor. Dies geht aus einer gestern in Berlin veröffentlichten Analyse der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK) hervor. Damit ist im Vergleich zu den alten Ländern im Osten Deutschlands der Industriesektor unterdurchschnittlich vertreten.
Der ungebrochene Gründungsboom zeigt sich laut DIHT an der steigenden Zahl der IHK-Mitglieder: von 220.000 Ende 1990 auf 370.000 im 1. Quartal 1992. Die Startbedingungen für Existenzgründer bleiben nach Beobachtung der Spitzenorganisation der deutschen Industrie- und Handelskammern weiter schwierig. Auf zwei Neugründungen käme eine Geschäftsaufgabe.
Im einzelnen kritisiert der DIHT am Standort Ostdeutschland eine unzureichende öffentliche Verwaltung, Mangel an Gewerberaum und existenzbedrohend hohe Mieten, eine unzulängliche Vergabepraxis bei öffentlichen Aufträgen sowie eine harte Konkurrenz durch hochsubventionierte Beschäftigungsgesellschaften. Vor allem die vielen neuen Betriebe des Landschafts- und Gartenbaus und Bauunternehmen seien betroffen, so die Klage aus den Industrie- und Handelskammern in Ostdeutschland. Die Beschäftigungsgesellschaften binden nach Darstellung des DIHT Personal, das anderen Unternehmen fehlt. Mit der weiteren Zunahme der Bautätigkeit werde der Personalmangel immer größer. Auch Ausbildungsplätze könnten nicht aussreichend besetzt werden. Andererseits hätten die Geschäftsführungen der Beschäftigungsgesellschaften häufig gar keine Ausbildungskonzepte.
Problematisch sei auch die schleppende Bearbeitung von Anträgen auf Fördermittel und Investitionszulagen. Für eine Handelsregistereintragung seien Wartezeiten von mehr als einem halben Jahr keine Seltenheit. Im Kammerbezirk Potsdam beispielsweise stünden noch über 2.500 angemeldete Eintragungen aus. Deshalb würden viele ExistenzgründerInnen das Unternehmen in den alten Ländern anmelden und dann den Sitz in die neuen Länder verlegen.
Von dem Mangel an Gewerberaum seien besonders der mittelständische Einzelhandel und die Gastronomie betroffen. Bei öffentlichen Aufträgen mangelt es dem DIHT zufolge den Verwaltungen oft an Kenntnissen der Ausschreibungsbedingungen. Im Bereich des Außenhandels stellt der DIHT-Bericht immer vielfältiger werdende Aktivitäten der ostdeutschen Unternehmen fest. Vereinzelt würden sogar schon Produktionen in Billiglohnländer wie CSFR, Polen und die baltischen Staaten verlegt. Bei den Exporten blieben die ostdeutschen Unternehmen weiterhin auf Osteuropa fixiert. Angesichts der Zahlungsschwierigkeiten würden bei Lieferungen immer häufiger Waren als Bezahlung akzeptiert.
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