: Keiner faßt mich an!
■ Ab Montag: „Sunshine“, das neue Schnürschuh-Stück um Geilheit, Liebe und Tricks
Puffroter Vorhang, hochgerafft um ein mannshohes Glasfenster. Davor, zum Zuschauerraum hin, ein billiger Stuhl — und die Frau „Sunshine“. Sunshine im schwarzen Morgenrock, mit sehr hohen Absätzen, mit Löwenmähne. Sunshine, die kann mit Männern umgehen. Die hat alles im Griff, nein: in den Augen, in den Bewegungen, in der Stimme. Denn hier ist Peep-Show, hier ist Anfassen unmöglich, hier ist die Glasscheibe dazwischen, hier gilt: Münzen rein, Klappe auf. Das Bühnenbild, dieser Trick mit der Perspektive zaubert die ZuschauerInnen auf die Seite von Sunshine.
Und die Männer, stöhnend, fordernd, auch schüchtern, einen Telefonhörer in der Hand und die Hose offen, wie Spielsüchtige immer wieder ein paar Dollar nachwerfend, das sind die ausgestellten Objekte. Sunshine weiß, was sie muß und kann: reden, wie die Männer es wollen: „Du bist toll! Du bist geil! Du bist wirklich ein guter Liebhaber! Du machst mich so glücklich!“ Gesehen, gehört vorab im Schnürschuh-Theater. Am Montag ist Premiere.
Natürlich wird im Stück ziemlich dick aufgetragen, eben wie manchmal im wirklichen Leben. Das Schnürschuh-Theater will mit dem neuen Stück „Sunshine“ ja auch nicht über „das“ Rotlicht- Milieu belehren.
Gut und böse, unschuldig und verworfen, Opfer und Täter gibt es nicht. Ein Stück für Erwachsene diesmal, für Abendvorstel
hierhin bitte das
Theater-Foto
wo sich ein Mann und eine
Frau ins Gehege kommen
Sunshine und Nelson, Hure und SchwerenöterFoto: Markus Andrae
lungen. Recherchiert hat die Gruppe bei Gesprächen mit Prostituierten der Nitribitt-Gruppe, auch mit Freiern. Es fehlt nicht an realistischen Einzelheiten: wenn Sunshine nach dem schärften Liebesgesäusel messerscharf an die Samen-Spritzer auf der Scheibe
denkt und hausfraulich das Papiertuch empfiehlt.
Nelson heißt die andere Hauptfigur, der saubere junge Mann, ausgerechnet Rettungssanitäter mit gescheiterter Ehe, abgestoßen und fasziniert von Sunshine, die sich gar nicht unbedingt von ihm retten lassen will, die aber eigentlich einen Mann sucht wie Nelson, einen, der „Lady“ zu ihr sagt. Das geschickte Bühnenbild zeigt Nelsons Appartement mit schief abfallenden Wänden, zeigt einen zweifelhaften Lebensstandard des saubergebliebenen Alleinlebenden.
Sabine Kriegelstein spielt in Nelsons Bude die verschiedenen Frauen in der heruntergekommenen, starken Sunshine. Reinhard Lippelt als Nelson, abweisend und zugeknöpft, fängt natürlich irgendwann doch Feuer. Der Kunde, der Freund, der Fremde, der Schwerenöter begegnet der Hure, der Frau, der Erfahrenen, der Hilfsbedürftigen.
Manchmal sind die Dialoge befreiend witzig (Sunshine: „Ich arbeite da, wo Männer alles bekommen, alles, was sie zu Hause nicht bekommen...“ Nelson: „Ah, im Delikatessengeschäft!“); manchmal ist die Handlung ziemlich plakativ: Wenn Nelson die Sunshine ungeschminkt und ohne Perücke schön findet; manchmal gibt es nette glaubwürdige Gesten, wenn Sunshine, mit brüchigem Stolz auf ihre Fähigkeiten, sich den Rotz unter der Nase abwischt, wenn sie, unsichtbar für den Kunden in der glitschig muffigen Glaskabine, ihren Nagellack kontrolliert.
Das Ende? Ein bißchen offen, wie im wirklichen Leben. S.P.
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