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STANDBILDEin Mensch!

■ Geiselgangster von Gladbeck, Do., 23Uhr, ARD

Das „Geiseldrama“ von Gladbeck markierte Sommer des Jahres 1988 einen Wendepunkt deutscher TV-Geschichte: Zum ersten Mal vermischten sich die Ebenen von gefilmter Wirklichkeit und gefilmter Fiktion derart, daß keine Unterscheidung mehr möglich war. Niemand spielte die Rollen von Degowski, Rösner, der Geiseln und Journalisten besser als sie selbst. Doch nicht die obszöne Vermischung, die erst durch den Tod zweier Geiseln geschieden wurde, war das Thema von Uta Claus; vielmehr ging es ihr um den „Versuch, einem Menschen“ — also Dieter Degowski — „näherzukommen“.

Degowski ist keine „Bestie“, wie manche zu meinen schienen, sondern ein „Mensch“. So ging es um seine Reintegrierung in's Humane und darum, dem dreitägigen TV-Finale eine verstehbare Vorgeschichte zu geben. Degowski, der von seinen InterviewpartnerInnen als minderbegabt, stotternd, hirngeschädigt, Bettnässer, Sonderschüler, Schwächling, als ängstlicher Außenseiter, als tabletten- und alkoholabhängig geschildert wurde, bot sich besser an als Bernd Rösner, der im „Geiseldrama“ die aktive Rolle übernommen hatte und lange Zeit auf Kreuzberger T-Shirts als Held gefeiert wurde.

Scheinbar verzichtete die Filmerin auf eigene Kommentare. Andere sprachen von Degowski: ehemalige Geiseln, Freunde, die Schwester, Verteidiger, Psychologen und Sachverständige. Die eher kurzen Statements wurden thematisch unter chronologischen Titeln — „Kindheit“, „Tat“, „Prozeß“ usw. — aneinandergereiht. Dazwischen — unterlegt von besonders dramatischer Musik oder begleitet von einsamen Ruhrgebietsmülltonnen, gab es anklägerische Tafeln, auf denen zu lesen war, daß der nordrhein-westfälische Justizminister Interviews mit Degowski selbst (so ganz nahe kam sie ihm also nicht), seinem Gefängnispfarrer und anderen untersagt hatte. Auf Gespräche mit Medienkollegen, die am „Geiseldrama“ maßgeblich beteiligt waren, verzichtete die Filmerin. Und eher am Rand nur tauchte eine der größten Medienschweinereien in Sachen Degowski auf. Wahrscheinlich im Auftrag der 'Bild‘-Zeitung nämlich hatte „Friseuse Uschi“ Degowski im Gefängnis geheiratet und berichtete zwei Jahre lang exclusiv aus dem Intimleben des Täters. Nach ihrer journalistischen Pflichterfüllung ließ sie sich wieder scheiden.

So wenig überraschend wie er begonnen hatte, endete der Film: ein sympathischer Looser-Freund sagte über Degowski: „Ich laß mir beide Hände abhacken — Dieter ist kein Mörder“, und die Schwester konstatierte, daß Dieter viel reifer geworden sei, und „Er möchte am liebsten ne Pommesbude aufmachen — das ist sein größter Wunsch.“ Detlef Kuhlbrodt

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