: ZWISCHEN DEN RILLEN VONMATTILIESKE
Irgendwas, so geht das Gerücht, habe Bruce Springsteen noch gefehlt, als er sein Album Human Touch beendet hatte; was, das habe er nicht genau gewußt. Also habe er sich in sein Studio gesetzt und, nahezu allein, einfach ein zweites Werk zusammengeschustert: Lucky Town. Andere Gerüchte besagen, daß der mittlerweile 42jährige einstige Boss, nun Familienvater, lediglich so inflationär Songs produziere, weil er möglichst schnell aus dem bestehenden Vertrag mit seiner Plattenfirma herauswolle, der ihm eine bestimmte Zahl von Veröffentlichungen auferlegt. Wie dem auch sei, zum Absahnen ist die von Guns 'n' Roses übernommene Zwitter- Idee allemal geeignet, für zwei getrennte Platten läßt sich schließlich mehr Kohle verlangen als für ein simples Doppelalbum.
Vom ökonomischen Gesichtspunkt aus mag das neue Springsteen-Opus also durchaus gelungen sein, vom Künstlerischen her hätte er es besser bei der einfachen Lösung bewenden lassen. Seinen kompositorischen Fähigkeiten sind relativ enge Grenzen gesetzt und mit der Kreativität ist es auch nicht mehr so weit her wie damals, als es ihm mühelos gelang, das Doppelalbum The River mit abwechslungsreicher, spannungsgeladener und inspirierter Musikalität anzufüllen. Von den 24 Songs auf Human Touch/Lucky Town hingegen könnte rund die Hälfte von den Vorgängerscheiben Tunnel Of Love (1987) oder Born In The USA (1984) stammen.
Springsteens Musik leidet vor allem darunter, daß er seit aller Ewigkeit mit denselben Leuten spielt und, wenn er sich mal andere holt, diese exakt genauso klingen wie ihre Vorläufer; ganz im Gegensatz zu seinem speziellen Übervater Bob Dylan, dem er beharrlich nacheifert, aber stets einige Nasenlängen hinterher hinkt. Jener variierte, wenn er schon seinen Gesang nicht recht verändern konnte, durch die Zusammenarbeit mit renommierten Gruppen wie The Band, Tom Petty and the Heartbreakers oder Grateful Dead wenigstens immer wieder den Sound.
Springsteen hingegen bleibt Springsteen und nichts als Springsteen, ganz besonders, was die sogenannten „Lyrics“ betrifft. Wird Dylan schon wegen häufiger Verwendung derselben Bilder dichterischer Dilettantismus vorgeworfen, dann ist Springsteen geradezu ein Neandertaler der Poesie. Gleich im ersten Song gibt es schon wieder „no mercy on the streets of this town“, da hämmert der „pourin' rain“ auf die Dächer des Hauses „on the hill“, daß es aus allen Ritzen tropft, da werden jede Menge Züge geritten, schwarze Flüsse laden zum Spaziergang ein, harte Straßen werden befahren, Dunkelheit dräut nicht nur an den Ecken der Stadt; und überall Schmerzen, Schwüre, Babys und Herzensbruch. Und zwischendurch wird der kleine Sohn zu Bett gebracht.
Ganz herbe kommt es in „Leap of Faith“: Now your legs were heaven, your breasts were the altar, your body was the holy land. Hallelujah. Nicht viel besser sieht es mit dem knittelversigen „Cross My Heart“ aus: Where the night gets sticky and the sky gets black, I grabbed you baby and you grabbed me back. Welch gräßliche Vorstellung.
Aber Bruce wäre nicht Springsteen, wenn er nicht auch einige Perlen untergebracht hätte, Stücke, auf denen sich sein archaisch-brachiales Marktschreierorgan nach Herzenslust austoben kann: Die schwungvollen „Lucky Town“, „Better Days“, „Human Touch“ etwa, oder in Ton gegossenen Sentimentalitäten wie „The Big Muddy“, „Book of Dreams“, „I Wish I Were Blind“ — tränenselige Balladen über Eifersucht, Depression und die Selbstheilungskräfte der menschlichen Liebe.
Highlights sind „With Every Wish“, mit einfühlsam gedämpfter Trompetenuntermalung von Mark Isham, das schlichte Wiegenlied „Pony Boy“ und „57 Channels“, wo sich Springsteen endlich vom gern gehegten Mythos des geplagten Arbeitsmannes löst und wahrheitsgemäß zugibt: „I bought a bourgeois house in the Hollywood hills“. Zur Baßgitarre erzählt er, wie er sein Fernsehgerät erschießt und dafür eingebuchtet wird. Judge said, „What you got in your defense, son?“/ „57 channels and nothin' on“. Die ersten Morde an CD-Playern werden nicht lange auf sich warten lassen: „24 Songs and nothin' on.“
Nun, ganz so schlimm ist es nicht. Genug Stoff für eine hörenswerte Platte geben sie schon her. Für eine.
Bruce Springsteen: Human Touch/Lucky Town, Sony Music, 471423/471424
SPRINGSTEEN,NEANDERTALERDERPOESIE
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