Ratlos nach den riots

■ Zur Überwindung der Malaise der US-Großstädte holt Bush alte Ideen aus der Schublade

Washington (taz) — Zweieinhalb Wochen nach den bisher schwersten Unruhen in der jüngeren US-Geschichte haben Programme mit hochtrabenden Titeln, die sich den Problemen der amerikanischen Städte widmen, Hochkonjunktur in Washington. Mindestens 53 Tote, fast 2.400 Verletzte und ein geschätzter Sachschaden in Höhe von umgerechnet rund 1,3 Milliarden Mark — die aktuelle Bilanz in Los Angeles — haben die Politiker in der Machtzentrale der USA aufgeschreckt und in hektischen Aktionismus versetzt.

Wer anfangs noch gezögert hatte, war spätestens nach den ersten Meinungsumfragen überzeugt, daß jetzt Taten gefragt sind. Für die meisten Amerikaner — mehr als 70 Prozent laut 'New York Times‘ — war das brennende Los Angeles ein Warnsignal. Um den heißen Sommer zu verhindern, den viele prophezeien, verlangen sie jetzt Schritte zur Verbesserung der Rassenbeziehungen.

Investitionen in Arbeitsplätze sowie berufliche Aus- und Weiterbildung sind in den Augen von 88 Prozent der Weißen und 90 Prozent der Schwarzen das beste Gegenmittel für weitere Unruhen. Eine stärkere Polizei rangiert auf ihrer Prioritätenliste an letzter Stelle. „Law and Order“ waren die ersten Worte, die George Bush als Antwort auf Los Angeles eingefallen waren. „Das ist keine Protestbotschaft. Das ist die Brutalität des Mob“, hatte er in seiner Fernsehansprache festgestellt und der Nation versprochen: „Ich werde soviel Gewalt wie nötig gebrauchen, um wieder Ordnung herzustellen.“

Erst nachdem er selbst in den verkohlten Ruinen gestanden hatte, fand er auch Worte des Verständnisses. Sichtlich erschüttert, so berichteten amerikanische Reporter, sei der Präsident, der sich eher in den Chefetagen der US-Wirtschaft zu Hause fühlt, durch South Central Los Angeles gegangen.

Danach wurde sein Ton auch gegenüber den Demokraten versöhnlicher. Am Dienstag setzten sich die demokratische und die republikanische Kongreßführung mit Bush zusammen. Der Präsident legte sein Programm „Für ein neues Amerika“ vor, dessen Einzelteile — unter anderem Job-Training, Fürsorge- und Bildungsreform — er bereits in der Vergangenheit präsentiert hat. Am Ende zeigten sich alle Seiten „ausgesprochen ermutigt“ und versprachen schon in zwei bis drei Wochen einen Kompromiß. Streitpunkte dürften ein von den Demokraten angestrebtes Arbeitsbeschaffungsprogramm und die Finanzierung des Maßnahmenpaktes sein: Steuererhöhungen für die Besserverdienenden kommen für Bush auf gar keinen Fall in Frage.

In einem Versuch, wahlpolitisches Kapital aus den Unruhen zu schlagen, hatten sich Demokraten und Republikaner zunächst gegenseitig die Schuld an der Misere zugeschoben. Bill Clinton, der voraussichtlich im Juli zum Präsidentschaftskandidat der Demokraten gekürt wird, konstatierte, Bush und sein Vorgänger Ronald Reagan hätten die sozialen Probleme des Landes zwölf Jahre lang verleugnet und vernachlässigt. Das konnte das Weiße Haus nicht unwidersprochen stehen lassen und schickte seinen Sprecher Marlin Fitzwater vor. Nichts da, meinte der bissig, die Sozialprogramme der 60er und 70er Jahre seien die Wurzel allen Übels. Unter dem Titel „Große Gesellschaft“ oder „Krieg gegen die Armut“ hatte der Demokrat Lyndon Johnson Mitte der 60er Jahre eine ganze Reihe von Maßnahmen gestartet, die in der Folge tatsächlich halfen, die Armutsrate in den USA von 19 auf fast 12 Prozent zu reduzieren, und die bis heute in Kraft sind.

Das bei weitem größte Programm war Medicare, eine staatliche Krankenversicherung für die Alten. Kein Politiker würde es heute wagen, Medicare zu kürzen oder gar ganz zu streichen. Den Konservativen wirklich ein Dorn im Auge ist eine auf ledige Mütter zugeschnittene Unterstützung (Aid to Families with Dependent Children, AFDC), die aber bereits 1935 erstmals ausgegeben wurde. AFDC ist den Republikanern das beste Beispiel für ihre Theorie, daß Fürsorge den Empfänger auf Dauer von staatlicher Unterstützung abhängig macht. Wer Geld vom Staat kassiere, habe oft keinen Anreiz mehr, sich einen niedrigbezahlten Job zu suchen, argumentieren sie.

Kemps Luftschlösser

Jack Kemp, Minister für Stadtentwicklung, dem allgemein bescheinigt wird, sich als einziger in Bushs Kabinett um das Schicksal der Ärmsten zu kümmern, hat seit drei Jahren vergeblich versucht, mit einem Vorschlag zur Revitalisierung der Ghettos bei seinem Boß zu landen. Daran erinnerte man sich jetzt im Weißen Haus und verkauft nun Kemps Ideen von der „Enterprise Zone“ und dem Ghetto-Bewohner als Geschäftsmann und Hauseigentümer als Allheilmittel für die Malaise der US- Großstädte. Bundesweit sollen danach verschiedene Distrikte — wo Armut und Arbeitslosigkeit besonders hoch sind — zum „wirtschaftlichen Fördergebiet“ deklariert werden. Besitzer, Investoren und Angestellte von Unternehmen kommen dort in den Genuß von Steuererleichterungen; Umweltschutz- und Sicherheitsbestimmungen können außer Kraft gesetzt werden.

Kritiker glauben, damit würden nur bestehende Arbeitsplätze von einem Ort an einen anderen verlagert. Ohne begleitende Maßnahmen, günstige Kredite etwa, wäre der ganze Plan im übrigen wertlos. Am Ende würden nicht die Ärmsten ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen, sondern wieder die Reichen von außen die Fäden ziehen. Stattdessen schlagen sie vor, alle Zahlungen an die arbeitsfähigen Armen, von Fürsorge über Essensmarken bis hin zum Wohngeld, durch das „einfache Angebot eines von der Regierung bereitgestellten Jobs“ zu ersetzen. Nur mit diesem Arbeitsangebot könne man die Unterschicht wieder in die Gesellschaft integrieren. Martina Sprengel