Von Blauen Engeln und Dämonen

Marlene Dietrich wurde in Berlin zu Grabe getragen/ Prominenz kümmerte sich kaum um den Tod der Diva/ Berliner BürgerInnen erbost, Rechtsextreme schmähten die Antifaschistin/ Schwule und Lesben huldigten dem androgynen Star  ■ Aus Berlin Bascha Mika

Mit dem volkstümlichen Namen „Engel“ bezeichnet man bekanntlich höhere Geschöpfe im allgemeinen. Bis auf einige Ausnahmen haben sie die Aufgabe, auf der Himmelsleiter auf und nieder zu steigen und die Menschen vom Willen der Götter zu unterrichten. Woraus sich ergibt, daß „Engel“ keine Personen-, sondern eine Amtsbezeichnung ist. Uralt ist der Streit über das Wesen der Himmelsboten: Haben sie Flügel? Haben sie ein Geschlecht? Sind sie sterblich?

Blaue Engel sterben. Und wenn sie zu Grabe getragen werden, sind auch ihre Vettern, die Dämonen, nicht weit. Wie am Sonnabend in Berlin, als Marlene Dietrich beerdigt wurde. „Womit hat sie das verdient?“ fragt die alte Dame in Beige erbost. Am Rande des kleinen Friedhofs in der Stubenrauchstraße sitzt sie unter Linden und Birken, bewaffnet mit einem Miniaturrechen und einer Hacke. Die Beisetzungszeremonie für die Künstlerin ist soeben zu Ende gegangen, der Kirchhof für das Publikum geöffnet.

„All dieser Aufwand“, brummt die 86jährige, und zeigt auf die Menschenschlange, die am Sarg der Schauspielerin vorbeidefiliert, auf die Metallpodeste, von denen aus die Presse die Feier beobachtet hat. „Verraten hat sie uns, damals. Und jetzt kriegt sie ein Staatsbegräbnis. Und dann heißt es, wir müssen sparen.“

Seit 26 Jahren besucht die elegante Alte täglich die Grabstätte ihrer Familie; heute färbt außer Rouge auch Ärger ihre Wangen rot. Ein Weltstar ist tot; aber die Gefühle, die er in seiner Heimatstadt geweckt hat, sind höchst lebendig. „Sie ist doch immerhin eine Deutsche“, mischt sich die 83jährige Banknachbarin ein. „Man soll nicht soviel Schmutz aufwühlen, wenn ein Mensch nicht mehr lebt. Auch wenn sie sich unbeliebt gemacht hat.“ Ein Engel, der seine Flügel in Deutschland abstreifen will, darf kein Emigrant gewesen sein, keiner, der in fremder Uniform gegen die Nazis gekämpft hat.

„Die Reaktionen auf diese Beerdigung sind extrem“, erzählt der Herr mit dem Schild des Bestattungsunternehmens am Revers. „Unsere Firma“, fährt er fort und hat dabei immer ein Auge auf die ausgelegten Kondolenzbücher, „hat auch den Alten Fritz beerdigt. Aber so war das bei dem nicht.“ Häßliche Briefe und Drohanrufe habe es gegeben. Auf dem kleinen Friedhof huschen auffällig breitschultrige Männer unauffällig von Grabstein zu Grabstein. Auch sie tragen das Abzeichen des Unternehmens, das mit dem Slogan: „Es ist nie zu früh, an das Ende zu denken“, wirbt. „Sie gehören allerdings zu einer anderen Firma“, sagt der Herr bei den Kondolenzbüchern sanft. Eine Vorsichtsmaßnahme, bis das Grab zugeschüttet wird.

Weitere Bewachung ist nicht vorgesehen, hört man von der Polizei, die sich mit einer Hundertschaft vor den Friedhofsmauern langweilt. Auch wenn die rechtsextremen „Nationalen“, die bei den Berliner Bezirkswahlen am kommenden Sonntag antreten werden, ungeniert eine Schmähschrift gegen die Antifaschistin verteilen. Postiert haben sich die adretten jungen Männer gleich neben dem Wagen eines Blumenhändlers, der mit den letzten roten Rosen für Marlene ein gutes Geschäft macht.

„Bei Grethe Weiser“, erinnert sich die Frau auf der Bank unter den Linden, „war der Friedhof ein Blumenmeer. Dabei war die doch gar nicht so bekannt. Hier ist alles so nackt. Und das kaum Schauspieler gekommen sind...“ In einer hellen Holzkiste, geschmückt mit Tulpen, Nelken und Levkojen, wird die Filmgöttin zum letzten Mal von Männern auf Händen getragen. Eine kärgliche Gruppe dunkel gekleideter Menschen folgt den sechs Sargträgern und schart sich um Pfarrer Wiarda und das offene Grab. Die Tochter der Künstlerin, Enkel, Urenkel und einige Freunde: Maximilian Schell, Hildegard Knef, Horst Buchholz und Camilla Spira. Ein Vertreter des Innenministeriums gibt sich die Ehre und Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen. „Buh“, rufen die Zaungäste am Friedhofseingang ihm zu. Eine Abschiedsfeier im kleinsten Kreis, so hat es sich die Familie gewünscht. Und diese Stille wollten Prominente offenbar nicht einmal mit Blumen oder Kränzen stören.

Willy Brandt hätte dem ganzen einen anderen Anstrich geben können — von Emigrant zu Emigrantin sozusagen und weil er sich mit der Wahlamerikanerin bei ihrem Auftritt 1960 in Berlin gut verstanden hat. Aber Brandt ist krank und für die bundesdeutsche und Berliner Öffentlichkeit ist Marlene Dietrich ein Engel ohne Botschaft. Das ändern selbst die paar Tausend meist jungen Leute nicht, die nach der Beerdigungsfeier stundenlang anstehen, um einen neugierigen oder bedauernden Blick in die Grube zu werfen.

Mit unbeweglichem Gesicht hört sich ein Bronzeengel, zwei Grabstätten weiter, die Abschiedsreden für die Kollegin an. Von zwei Mikros, dezent hinter Steinen versteckt, werden die Worte in den Äther getragen. „Eine Christin“ will der Gottesmann zu Grabe tragen, eine, die gebetet haben soll: „Der Herr ist mein Hirte.“ Marlene im Sarg und der Engel werden fein gelächelt haben. „Wenn es ein höheres Wesen gibt“, hat die Diva Maximilian Schell ihr Credo verraten, „muß es meschugge sein.“ Besser wird ihr schon das Abschiedsgedicht von Freiligrath gefallen haben, daß Schell zitiert. Lesen hat sie damit gelernt, und es ist passend zum Anlaß. „Die Stunde kommt, die Stunde kommt“, heißt es darin, „wo du an Gräbern stehst und klagst.“

Klagen gibt es an der Totenstätte hauptsächlich von Lesben und Schwulen. Mit leeren Koffern, aufs erotischste aufgestylt kommen sie, ihrem Symbol Lieder zu singen und Blumen zu bringen. „Wir lieben sie, weil sie so souverän mit den Geschlechterollen gespielt hat“, verkündet ein Transvestit im nylonengen Trauerkleid. Auch er hätte ein ironisches Schulterzucken seines Engels geerntet. „Man kann auch ohne Erotik“, hatte die aufreizend kalte Diva von ihrem unerreichbaren Sitz auf dem Mond postuliert. Die Geschlechterrollen zu verwischen, fände sie gräßlich — behauptete sie und wiederlegte sich in jedem Film neu.

„Sich einer Übermutter innerhalb von acht Tagen zu nähern“, bemerkte Berlins Kultursenator Roloff-Momin, „ist eine gigantische Aufgabe.“ Daran und offenbar auch an dubiosen politischen Rücksichtnahmen auf den rechten Wählerrand war die geplante Ehrengala „Adieu Marlene“ gescheitert. Statt dessen inszenierte der Senat noch flugs ein Stelldichein im Ostberliner Zeughaus. Statt einer Hommage an die große Schauspielerin gab es belegte Brötchen für die Journaille.

Wie würde ein professioneller Engel auf soviel Unprofessionalität, auf so wenig Herz und Verstand reagieren? Die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel leicht verächtlich nach unten ziehen würde Marlene — und sich auf ihren Schwingen davonmachen.