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Chile: Erfolg führt zum Scheitern

Der erfolgreiche Export von Früchten und Rohstoffen verdirbt die Preise auf dem Weltmarkt/ Chile muß in der Folge die Exportmengen steigern und verschärft dadurch den Raubbau an der Natur  ■ Von Astrid Prange

Santiago (taz) — Chile scheint sich mit Erfolg auf seine Vergangenheit zu besinnen. 500 Jahre nach der Eroberung des lateinamerikanischen Kontinents weist ausgerechnet das Land eine jährliche Wachstumsrate von 5,5Prozent auf, das sich erneut auf seine Rolle als Rohstofflieferant und Kapitalexporteur konzentriert. Doch es mehren sich die Zeichen, daß der Erfolg des chilenischen Exportmodells, als maßgebendes Beispiel für ganz Lateinamerika gepriesen, nur von kurzer Dauer sein wird. „Das größte Problem liegt im sozialen Bereich“, räumte kürzlich der chilenische Finanzminister Alexandro Foxley ein. „Ich habe Angst, daß das Volk eines Tages die Geduld verliert“, gab der Minister zu bedenken.

Die bisherige Geduld des chilenischen Volkes ist nur als Relikt der Unterdrückung während der Militärdiktatur (1973 bis 1989) zu erklären. General Augusto Pinochet diktierte dem Land zwischen Antarktis und Anden ohne Rücksicht auf soziale Verluste eine neoliberale Revolution. Während der Rezession im Jahr 1983 war ein Drittel der Bevölkerung arbeitslos, und der Konsum pro EinwohnerIn sank um 16Prozent — Umstände, die in jeder Demokratie wohl beträchtliche soziale Unruhen auslösen würden.

Mittlerweile ist die Arbeitslosenquote auf 5,3Prozent gesunken. Die Inflation hat 1991 das für lateinamerikanische Verhältnisse erträgliche Niveau von 18Prozent im Jahr (zum Vergleich: 1990 betrug die Geldentwertung 27Prozent) erreicht. Zum ersten Mal seit zehn Jahren stiegen die Löhne real um fünf Prozent an und lösten damit einen Wachstumsschub in der Binnennachfrage um vier Prozent aus. Die Zivilregierung investierte 1991 rund eine Milliarde Dollar, dies entspricht vier Prozent des chilenischen Bruttosozialprodukts, in die Bereiche Bildung und Gesundheit. Doch noch immer leben fünf Millionen der 134 Millionen ChilenInnen in bitterer Armut, 700.000 Wohnungen fehlen.

Die sogenannte Modernisierung unter General Augusto Pinochet verwandelte Chile in einen Rohstofflieferanten von Früchten, Fischen, Holz und Kupfer. Durch massiven Raubbau an der Natur und Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft stieg der Anteil der Exportwirtschaft am chilenischen Bruttosozialprodukt auf ein Drittel, was rund acht Milliarden Dollar entspricht. Während neuseeländische Kiwipflücker 64Dollar am Tag verdienen, müssen sich ihre chilenischen KollegInnen mit drei Dollar begnügen. Im vergangenen Jahr mußten außerdem zum ersten Mal die Fischfangquoten herabgesetzt werden: Die Meeresgründe vor der chilenischen Küste waren leergefischt.

Doch die Exportwut Chiles könnte sich zu einem Bumerang entwickeln. Das Überangebot, gepaart mit der derzeitigen Rezession in den USA, Kanada, Japan und Teilen Europas, hat auf den Auslandsmärkten zu einem gewissen Sättigungsgrad geführt, der wiederum einen Preisverfall nach sich zog. Nach Angaben der chilenischen Zentralbank ist der Wert der chilenischen Exportprodukte im Zeitraum von 1981 bis 1991 um 27Prozent gesunken.

Die chilenische Zeitschrift 'Analisis‘ beschreibt den Teufelskreis, den das chilenische Exportmodell in Gang gesetzt hat: „Das Modell fängt an, problematisch zu werden, denn die steigende Zahl der Exportgüter zieht einen Wertverlust des einzelnen Produkts nach sich“, wird erklärt. Kaum ein Land Lateinamerikas ist so abhängig von steigenden Exportraten wie Chile. Während das Wirtschaftswachstum von durchschnittlich drei Prozent auf dem Kontinent im vergangenen Jahr in erster Linie durch die wachsende Inlandsnachfrage hervorgerufen wurde, löst in Chile der Exportzuwachs von zwölf Prozent einen Wachstumsboom von 5,5Prozent aus. Die Binnennachfrage wurde bisher jedoch vernachlässigt: Nicht kaufkräftige KonsumentInnen, sondern billige Arbeitskräfte waren gefragt.

Das international so gepriesene Exportmodell Chile entwickelt sich so mehr und mehr zur Zwangsjacke: Je mehr Chile exportiert, desto weniger sind seine Waren wert. Je geringer der Preis für Exportgüter, desto mehr muß das Land exportieren, um weiterhin Handelsbilanzüberschüsse zu erzielen. Die Belebung des chilenischen Binnenmarktes würde zwar einerseits dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit der chilenischen Wirtschaft gegenüber Exporteinbrüchen zu stärken. Doch auf der anderen Seite zerstören höhere Lohnkosten die Konkurrenzfähigkeit vieler chilenischer Produkte auf den internationalen Märkten.

Nicht nur Chile, ganz Lateinamerika wird täglich von seiner Vergangenheit eingeholt. Abgesehen von den fallenden Preisen, die den Süden zwingen, immer größere Rohstoffmengen auf die internationalen Märkte zu werfen, ist der Kontinent nach wie vor einer der größten Kapitalexporteure. Statt Goldbarren schicken die ehemaligen Kolonien heute 30 Milliarden Dollar pro Jahr in den reichen Norden, was den Schuldenberg des Kontinents (1991: 430 Milliarden Dollar) bis jetzt noch nicht im geringsten gemindert hat.

Gesteigert wird der finanzielle Aderlaß noch durch die üppigen Gewinnüberweisungen der multinationalen Betriebe an die Konzernzentralen in den jeweiligen Industrienationen: In den vergangenen zehn Jahren waren das nach Angaben von 'Analisis‘ 374 Milliarden Dollar.

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