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Vakuum am Brennpunkt der Kriminalität

■ Die Außenstelle der Polizeiwache 31 am Bahnhof Zoo soll einer Treppe weichen/ Reichsbahn meldete Eigenbedarf an/ Eher zwiespältige Haltung dazu bei den Bewohnern des Bahnhofs, aber: »Geil! Wird Zeit, daß die mal wegkommen«

Berlin. Etwas aufgeregt ist die Dame mit den frisch ondulierten Haaren und der bunten Ledertasche, als sie durch den schmalen gläsernen Windfang in die Polizeiwache eintritt. Die Herren vom Empfang sitzen gelangweilt hinter ihren vollgepackten Schreibtischen. Wer hier was will, muß sich laut und deutlich ausdrücken, denn der Tresen in der kleinen Empfangshalle sorgt für über drei Meter Distanz zwischen den Beamten und der »Kundschaft«. Die Besucherin möchte »eine Zeugenaussage zu einem angeblichen Warendiebstahl« machen und wird höflich um etwas Geduld gebeten. Schließlich sind die Beamten vom Zoo die meistbeschäftigten Polizisten der Stadt.

Kaum hundert Meter vom Haupteingang entfernt hat die Wache im selben provinziell anmutenden Gebäude ihren Sitz, welches die Westberliner in alter Tradition als ihren Hauptbahnhof betrachten. Die Eingangstür zum Revier weist auf den Einfahrtsbereich des Taxistandes und ist vom Inneren der Bahnhofshalle nicht zugänglich. Hier ist vom Großstadtrummel nicht mehr viel zu spüren — kein Wunder, denn zur Polizei geht man in den seltensten Fällen ohne besonderen Grund. Und in absehbarer Zeit wohl gar nicht mehr. Dringender als Schutz vor langen Fingern scheinen die Hauptstadtreisenden eine zusätzliche Treppe zu benötigen. Aufgrund des »wachsenden Reiseaufkommens« hat die Reichsbahn in einem Kündigungsschreiben vom 7. Mai 92 Eigenbedarf angemeldet. Ungefähr die Hälfte der 1.650 Quadratmeter großen Grundfläche der Wache soll zum 1.Juli dieses Jahres gesperrt werden. Bereits jetzt klafft ein Loch von drei Quadratmetern Durchmesser am hinteren Ende des Flurs — zu Bodenprüfzwecken. Vorerst stehen Ersatzräume aus angrenzenden Werkstätten zur Verfügung, bis zum 1. Juni 94 allerdings soll die Station ganz draußen sein. Ab dann wird der Bahnhof Zoo wegen Umbauarbeiten in Friedrichstraße und Hauptbahnhof vorerst Endstation für Reisende nach Berlin sein.

Dabei haben die Polizisten vom Zoo eine Sonderrolle in der Stadt. Zwar landen hier nicht gerade die großen Fische im Netz — am »Brennpunkt der Kriminalität« ('Morgenpost‘) geht es vielmehr um die Alltagsquerelen aus dem Bahnhofsmilieu. Ob da Touristen den Weg nach Spandau erfragen, Reisende ihre abhanden gekommenen Euroschecks melden, ob ausgerissene Jugendliche zum Notdienst gefahren werden oder die »Betreuung« der Bahnhofsszene mit den sogenannten Nichtseßhaften, den BTMlern oder Strichern ansteht — mit halbem Herzen verstehen die Beamten sich als eine Art Sozialarbeiter. Die Zuständigkeit der Behörde geht meist auch nicht über die Sofortbearbeitung hinaus. Damit sind die Formalitäten zur Prozeßvorbereitung gemeint oder im Falle eines Haftbefehls der Transport zu einem anderen Revier. Vom geplanten Rausschmiß hält man hier natürlich nicht viel: »Klar, daß unsere Effektivität leidet, wenn wir erst vom Ernst- Reuter-Platz herfahren müssen«, meint der Wachleiter Peter Risse, 45. Dort liegt die zentrale Wache vom Abschnitt 31, dem die Station im Zoo untergeordnet ist. »Aber wir sind Beamte, und wo uns der Dienstherr hinsetzt, haben wir unseren Dienst zu machen.«

Offensichtlich verpufft der kämpferische Elan der Herren bereits im Arbeitsalltag. Als Herr Risse uns in den zum Abriß freigegebenen Trakt führt, wird klar, daß wir hier keine Sozialstation vor uns haben. Im Zellenvorraum zieht man gerade zwei rumänischen Jugendlichen die Hosen aus. »Das sind Trickdiebe, die müssen jetzt nach Waffen durchsucht werden.« Ein Punk mit schlohweißem Haar, darunter schwarz vom Halstuch bis zu den Stiefeln, folgt wenig später in Handschellen, festgenommen wegen Körperverletzung. Mit Kennerblick identifiziert der Wachleiter die nächste hereingeführte Delinquentin, eine weinende Frau Mitte 40, als typische Ladendiebin. Es wird allmählich eng auf der Bank vor der Schreibmaschine für die Personenfeststellung.

Außer neun Zellen zur kurzfristigen »Verwahrung« befinden sich die Räume der »Arbeitsgruppe Warenhausdiebstahl« und die Unterabteilung des Drogendezernats vom Abschnitt 31 in dem von der Abrißbirne bedrohten Trakt. Das letzte Zimmer im Flur sieht wie ein kleines Warenlager aus — es ist die Ausbeute einer Wohnungsdurchsuchung.

Am Bahnhof Zoo läuft indessen alles wie eh und je. Nicht enden wollende Touristenströme schieben sich durch die schmierigen Glastüren der Bahnhofshalle. Man atmet stickige Großstadtluft und bestaunt mit einem Gemisch aus Mitleid und Verachtung das Berliner Lumpenproletariat, das sich an diesem sonnigen Maitag aus seinen Löchern gewagt hat. Daß der Polizeiwache vor Ort die Kündigung ins Haus geflattert ist, weiß von denen kaum einer. Dabei kennt man sich notgedrungen ziemlich gut. »Don Johnson« und »Schweinebacke«, ruft die Szene ihre Spezies, mit denen man bei diversen Razzien unfreiwillige Bekanntschaft machte. »Geil, wird Zeit, daß die mal wegkommen«, ist der Kommentar von Sabine, 21, »die Bullen schmeißen uns andauernd aus dem Bahnhof, wenn wir uns mal aufwärmen wollen.« »Manche sind aber auch süß, einen hab' ich sogar mal verführt«, meint die 17jährige Steffi. Frank, 34, ebenfalls wohnhaft Bahnhof Zoo, hält die Präsenz der Polizei dagegen für notwendig: »Die müssen die Bürger vor Banditen schützen, sind ja nicht alle so nett wie wir.« Razzien und Ausweiskontrollen werden wohl trotzdem an der Tagesordnung bleiben. Ein Protestschreiben der Polizeigewerkschaft stieß beim Innensenator bereits auf offene Ohren. Der will die Beschwerde jetzt an die Reichsbahn und Verkehrsminister Krause weiterleiten. Erster Vorschlag für einen neuen Standort: die Kunstgalerie in der Budapester Straße. Jantje Hannover

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