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»Sie haben aber wenig Selbstbewußtsein«

■ Die letzten Tage des Kommunalwahlkampfes: Auch wer CDU und SPD nicht liebt, soll wenigstens nicht rechts wählen/ Eberhard Diepgen wundert sich öffentlich über hohe Mieten, während die SPD Teenie-Musiker in die U-Bahnhöfe schickt

Berlin. »Ich habe schon bessere Zeiten erlebt«, bekennt Horst Faber. Der CDU-Abgeordnete steht am Weddinger Leopoldplatz und streckt den Passanten Parteiblättchen entgegen. Wenn Faber Glück hat, schütteln die Leute den Kopf. Die meisten blicken einfach durch ihn hindurch. »Haben Sie was gegen mich?« ruft Faber gespielt-verzweifelt einer jungen Frau hinterher. Verblüfft dreht sie sich um: »Sie haben aber wenig Selbstbewußtsein!«

Die Frau hat wohl recht. »Die CDU ist nervös«, glaubt man in der SPD-Zentrale in der Müllerstraße. Die Sozialdemokraten haben bei den letzten Wahlen ihre Watschen schon eingesteckt. Der CDU steht die Ohrfeige noch bevor, zum Beispiel im Wedding. Früher war es der rote Wedding. Seit Mitte der achtziger Jahre ist er eher eine CDU-Hochburg. Aber wem gehört der Wedding heute? Wem gehört die Stadt? Ganz sicher nicht den beiden großen Parteien, die sie regieren.

An diesem Tag, ein Mittwoch, ist der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen am Leopoldplatz im Straßenwahlkampf. Neugierige Bürger umringen ihn. »Was denn, für ein Zimmer zahlen Sie 720 Mark? Das ist doch sicher ein Neubau?« fragt Diepgen sein Gegenüber, einen sonnengebräunten Mittdreißiger. »Nein, das ist modernisierter Altbau.« Diepgen staunt.

Die Stadt hat sich verändert, und die SPD scheint die neue Lage besser begriffen zu haben als ihre christdemokratischen Koalitionspartner. Unter dem Motto »Kultur in vollen Zügen« zeigten die Sozialdemokraten am Freitag, wie man Wahlwerbung macht, ohne mit Parteipolitik unangenehm aufzufallen: Im SPD- Auftrag, aber gegen Gage, füllten etwa 60 Ensembles 46 U-Bahnhöfe in der Stadt mit Sang und Klang. Am Kottbusser Tor lockte ein Freejazz- Duo mit Kontrabaß, die Zehlendorfer orderten Klassik, und in den Arbeitervierteln versuchte die Partei es mit Dixieland. Parteiwerbung durfte die SPD auf den Bahnhöfen nicht treiben, aber die Broschüren mit dem Musikprogramm und aufgedrucktem SPD-Logo gingen besser weg als jedes Parteiprogramm. 68.000 Heftchen wurden verteilt. Kostenpunkt der ganzen Aktion: 150.000 Mark.

Erstaunlich konventionell blieb die Kampagne der CDU: nur Straßenstände, Saalveranstaltungen und Plakattafeln, die sich oft nicht lange auf den Beinen halten. Auf »ein Viertel« schätzt CDU-Generalsekretär Karl-Joachim Kierey den Abgang bei den Stelltafeln. In einigen Gegenden des Ostteils fuhren die CDU- Gegner sogar mit dem Lastwagen vor und sammelten die Bretter systematisch ein.

Die SPD registrierte dagegen nur »minimale« Verluste. Anders als die CDU habe man keine »Anti-Plakate« geklebt, erklärt sich SPD-Wahlkampforganisator Rainer Ploch den Unterschied. Ablehnung spüren aber auch die Sozialdemokraten. »Im Osten Apathie, im Westen Wut«, analysiert der Prenzlberger SPD- Bundestagsabgeordnete Wolfgang Thierse die Stimmung.

Für die SPD-Kulturaktion standen am Wittenbergplatz die »Lemon Babies« auf der Bühne, vier blonde Teenie-Mädchen, keine älter als 18. Im letzten Jahr hatten sie den Senatsrockwettbewerb gewonnen, aber mit Politik haben sie absolut nichts am Hut. »Nein, mit der SPD haben wir nichts zu tun. Wir sind unpolitisch«, versichern sie kaugummikauend und fallen aus allen Wolken, als ihr Manager ihnen gesteht, daß sie in der Tat für den SPD-Wahlkampf spielen. »Wenn hier jemand mit Wahlplakaten auftaucht, hören wir sofort auf«, drohen sie. Zum Glück lassen sich die Sozis nicht blicken, und die »Lemon Babies« können für die Dinge Reklame machen, die sie wirklich mögen: »Things go better with Coca- Cola«, singen sie, »things go better with Coke.«

»Es war ganz schwierig, für unsere Veranstaltungen Rockgruppen zu gewinnen«, erinnert sich Sabine Grossmann von den Jusos. Kein Wunder, konnten die Parteien doch nicht einmal die eigenen Mitglieder so richtig begeistern. »Die Mobilisierung ist nicht so gelungen«, stellt SPD-Wahlkampfchef Thomas Härtel selbstkritisch fest.

Das mag daran liegen, daß keiner so recht weiß, um was es eigentlich geht. Das beherrschende Thema gibt es in diesem Wahlkampf nicht. Die Kreuzberger Bürger beschweren sich über den City-Ring oder die Junkies am Kottbusser Tor, die Reinickendorfer über den Fluglärm, Ostberliner beklagen die Schließung ihrer Postämter. Aber noch häufiger sind es Themen der Bundespolitik, mit denen die Wahlkämpfer konfrontiert werden: »Die Asylanten, dieses Dreckzeug, von denen immer mehr kommen«, ereifert sich am Leopoldplatz ein Mann in grünem Jägeranzug, mit Gamsbart am Hut und Schäferhund an der Leine. Viele fragen nach dem ÖTV-Streik, viele schimpfen über »die korrupten Politiker« ganz allgemein.

Die Parteien stehen vor einem Dilemma: Eigentlich geht es nur um die Zusammensetzung der Bezirksverordnetenversammlungen, in denen kaum Fragen von Belang entschieden werden. Aber weil alle Politiker der Republik zittern vor dem Schreckgespenst, das sie »Politikverdrossenheit« nennen, starren sie nach Berlin und setzen die Berliner Parteien unter Erfolgsdruck. Zwei volle Nachmittage opferte SPD- Chef Björn Engholm dem Berliner Kommunalwahlkampf. Dies sei eine »bedeutende Wahl«, meint Engholm am Sonntag am Rande einer Wahlveranstaltung. Die Wahl gebe Auskunft, wie groß das »Vertrauen« in die Politik noch sei.

Wo die Stars der Landes- und Bundespolitik auftauchen, erstarren die Bezirksgrößen zur Staffage. Eineinhalb Stunden lang redet Wolfgang Schäuble am Montag abend in der Gropiusstadt über die deutsche Einheit, über das Asylrecht und die Hauptstadtfrage. Als alle schon aufbrechen, hastet ein Mann zum Mikrofon und will wissen, was die Neuköllner CDU denn im Bezirk so vorhat. Diskussionsleiter Dankward Buwitt reagiert irritiert — und bittet den Mann verschämt, nach vorne zu kommen und »Herrn Manegold« zu fragen.

Große Namen ziehen das Publikum an. Daß sie es auch überzeugen können, ist damit noch nicht gesagt. Ein 23jähriger Angestellter, der Schäuble mit Fragen zum Thema »Karenztage« traktiert hat, ist erst vor gut einem Jahr »wegen des Parteiklüngels« aus der örtlichen CDU ausgetreten. Schäuble ist ihm sympathisch, Björn Engholm auch. »Aus Protest« und weil er »national« denkt, wählt er aber weder SPD noch CDU — sondern die »Republikaner«.

Er scheut sich nicht, das zu verraten. Schließlich sind SIE das wahre Thema dieses Wahlkampfs. CDU, SPD und AL mißachten in schöner Eintracht alle PR-Prinzipien: Sie plakatieren mit der Warnung vor den Rechten und thematisieren damit den Gegner. Wenn die Radikalen stark werden, so die Argumentation, schadet das dem »Ansehen der Stadt«. »Dies«, sagt CDU-Generalsekretär Kierey, »ist das letzte Thema und das einzig wirksame.« »Die Kampagne greift«, glaubt Kierey. Er rechnet inzwischen mit einer Wahlbeteiligung von bis zu siebzig Prozent. Auch der SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt vertraut auf die Anti-Rechts-Parolen und hofft auf »65 bis 70 Prozent«.

Politiker sind leicht zu beeindrucken. Als Staffelt am Samstag auf dem Reichsstraßenfest in Charlottenburg auftaucht, drückt eine Rentnerin einem Passanten ihre Pocketkamera in die Hand und läßt sich neben dem Fraktionschef fotografieren. »Weil ich dieselben Meinungen habe wie er«, erklärt sie. Was sie Staffelt nicht verrät: Ob sie wählen geht, »das ist die zweite Frage«. Als Rentnerin habe sie da so »ihre Probleme«. Hans-Martin Tillack

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