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Der Aus-Knopf ist unantastbar

■ Eine Tagung von Sat.1 widmete sich dem Dauerthema Sex und Gewalt im TV

Selbstverständlich“, sagte die Bundesministerin für Frauen und Jugend, Dr. Angela Merkel (CDU), kürzlich auf der Fachtagung „Sex und Gewalt im Fernsehen“ in Mainz, „sind die Herstellung und Verbreitung von Video-Cassetten, Tonträgern und Druckerzeugnissen, die exzessive Gewalt und Pornographie darstellen, unter Strafe gestellt. Doch, wie gesagt, die Grenzen sind oft nur schwer zu ziehen und werden nur allzu oft unterlaufen.“ Wie die Grenzen unterlaufen werden, wußte die Ministerin auf dieser von Sat.1 veranstalteten Tagung ebenfalls anzugeben: „Geschickte Schnittechnik“ unterläuft „Kriterien wie die Darstellung besonderer Schmerzen des Opfers und eine rohe, rücksichtslose Gesinnung des Täters“ (ein guter Schnitt ist im Kino wichtig, sagte schon Freddy Krüger).

Was Auditorium und Referenten zu einem dieser sich bedrohlich häufenden, modischen Symposien gegen „Mediengewalt“ zusammengeführt hatte, war der Haß auf jenes demokratische Grundrecht, das die Verbreitung auch von unbequemen Meinungsäußerungen (meist filmischer Natur) garantiert: „Ich habe in der DDR gelebt“, gibt die Bundesministerin zu bedenken. „Für mich ist die Pressefreiheit eines der höchsten Güter. Aber angesichts mancher Programme fällt es mir manchmal schon etwas schwer, wenn ich sehe, daß dem staatlichen Jugendschutz so enge Grenzen gesetzt sind.“ Die Hand an der Schere juckt. Kinder werden benutzt, um den Wunsch nach Zensur zu legitimieren.

Die Verteufelung von Gewaltdarstellung unisono, sogar von realer Gewalt, ist auch ein politisches Mittel: „Ein Bericht von einem Kriegsschauplatz“, so Merkel weiter, „wird nicht unglaubwürdiger, wenn man darauf verzichtet, Nahaufnahmen verstümmelter Leichen zu zeigen.“ Zynisch ist diese Forderung nach dem sauberen Bildschirmkrieg nicht nur deswegen, weil sie angesichts der Berichterstattung über den Falkland- und den Golfkrieg längst eingelöst ist. Auch deutsche Soldaten sterben im Einsatz außerhalb der BRD „glaubwürdiger“, wenn man auf Nahaufnahmen verzichtet.

Das scheinheilige Motiv des Jugendschutzes vereint, instrumentalisiert und neutralisiert ein breites Spektrum politischer Kräfte. Akribische „Leichenzähler“ warnen vor zu vielen Morden auf dem Schirm. Daß 70 elektrische Tote pro Tag nicht okay sind, darüber sind sich Linke und Rechte einig. Daß sie sich besinnungslos einig sind, ist nicht okay. Wer für die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ mit der dumpfen Logik des Fanatikers Filme indiziert, dem ist nicht bewußt, daß er das ästhetische Empfinden einer Minderheit übergeht und gleichzeitig u.a. subversive Werke aus dem Verkehr zieht, die von der Mehrzahl der Konsumenten ohnehin nicht goutiert werden.

Ziel der Jugendschützer ist es, einen Modus zu finden, mit dem es möglich wird, eine maximale Anzahl von Filmen zu verbieten, ohne sich um die lästige Frage nach der Interpretation zu scheren. Sicher, um den einen oder anderen schmockigen RTLplus-Nachtfüller wäre es nicht schade. Doch wie man die Sache auch dreht und wendet: Die Bereitwilligkeit, mit der die „Mafia“ der Sozialpädagogen eine Einschränkung der Kunstfreiheit in Kauf zu nehmen bereit ist, spricht für ein hinter dem Zensurwunsch sich verbergendes Motiv, dafür, daß der Jugendschutz nur vorgeschützt ist.

Keine Kettensägen für Bacardikörper

Also: Warum gieren mehr und mehr Jugendschützer wie Junkies nach der Zensur? Ganz einfach. Ebenso wie die Automobilindustrie kein Interesse an autofreien Sonntagen hat, existiert aus der Perspektive der Jugendschützer die Freiheit, eine Glotze abzuschalten oder ein Kino zu verlassen (bzw. gar nicht erst aufzusuchen) nicht mehr. Wie Alex Delarge, die Figur aus Kubricks Clockwork Orange, der Kriminelle, der ein visuelles Korrekturprogramm des Staates durchläuft, sollen die Leute hinschauen: damit sie die Werbung nicht verpassen. Und zwischen den Werbeblöcken sollen keine Filmfüllsel laufen, in denen maskierte Gestalten mit der Kettensäge wunderschöne Bacardikörper zu moderndem Hackfleisch zerlegen.

Die Frage, warum ausgerechnet ein Sender wie Sat.1 ein Symposion finanziert, das der Frage nachgeht, wie man das verbieten kann, was schwerpunktmäßig von Sat.1 gesendet wird, ist leicht beantwortet: „Wir senden keine indizierten Filme“, entgegnete Werner E. Klatten von Sat.1 einem radikalen Verbraucherschützer, der das Gegenteil behauptete. Um das herbeigesehnte Bilderverbot zu einem ethisch integeren Unterfangen zu stilisieren, wurde nach der wissenschaftlichen Rechtfertigung der Zensur von Gewaltfilmen gefahndet. Professor Dr. Jo Groebel (Uni Utrecht) betrat das Rednerpult. Er lächelte und begann zu differenzieren. Zunächst verwarf er die sogenannte „Katharsisthese“ (Gewaltdarstellung übt Ventilfunktion zwecks Aggressionsabbau aus). Danach verschwieg er die „Inhibitionsthese“ (Gewaltdarstellung löst Angst vor Aggressionen aus, weil sie dem Zuschauer vor Augen führt, daß Gewalt von der Gesellschaft nicht geduldet wird).

Alsdann setzte sich Groebel von der reaktionären „Stimulationsthese“ ab, die vom Modellcharakter des Gesehenen ausgeht (gesehene Gewalttaten führen zu kriminellen Handlungen). Übrig blieb die (nicht beim Namen genannte) „Habitualisierungsthese“, welche besagt, daß regelmäßiges Betrachten von Gewaltdarstellung zur Gleichgültigkeit führt und Gewalt als probates Mittel zur Konfliktlösung erscheinen läßt: Die F.D.P.-Version der Stimulationsthese, ein alter Hut. Nach dem Motto: Wir können zwar nicht beweisen, daß Gewaltdarstellung Modellwirkung auf den Zuschauer ausübt, aber wir können das Gegenteil auch nicht ausschließen. Jubel im Saal. Groebel — der den Vortrag jetzt schon siebenmal gehalten hat — schloß mit den Worten: „Ein ,natürliches‘ Bedürfnis nach Mediengewalt läßt sich wissenschaftlich nicht belegen.“ Die Stimmung im Saal ist gut.

Einer der wenigen, die Filme überhaupt beim Namen nennen, geschweige denn über sie reden, ist Hans-Joachim von Gottberg von der FSK. Gottberg ist ein ernst zu nehmender Jugendschützer, der Hardcore-Movies aus dem New Yorker Museum of Modern Art nicht gleich mit der Beißzange anfaßt (seine Telefonnummer schreibt er mir neckischerweise auf die Rückseite der Kinokarte von Das Schweigen der Lämmer). Nach einer Vorführung von Henry, Portrait of a Serial Killer votierte er für „frei ab 16“. Doch trotz aller Sympathie auch für ausgefallenere Filme sind die von Gottberg aufgeführten Bewertungskriterien, nach welchen solche Filme verschnitten werden, die angeblich die Menschenwürde verletzen, schon im Ansatz zu grob ausgelegt, um dem komplexen Gegenstand Film gerecht zu werden.

Nach dem Mittagessen („Mainzer Fleischwurst“) ging es in die Workshops. Dr. Grimm (Uni Mannheim) trug die Ergebnisse seiner empirischen Studie über Medienwirkung vor. Eine Beobachtung des Zuschauerverhaltens während des Schauens ergab, daß durchweg eine Identifikation mit dem Leid des Opfers vorhanden ist. Umgekehrt konnte die — von Jugendschützern angeprangerte — Identifikation mit dem Täter nicht beobachtet werden. Plausibel wußte Grimm die These anhand des den Probanden vorgeführten Filmmaterials sowie der Reaktionen der Tagungszuschauer zu belegen: Gesicht verziehen bei der Zahnarztszene aus Marathonmann, Beine übereinanderschlagen bei der Darstellung einer Penisoperation und Desinteresse (Zapping) bei schnell geschnittener Gewaltdarstellung in Tanz der Teufel II.

Die Studie wurde totgeschwiegen, als hätte Grimm chinesisch geredet. Stefan Aust nutzte dafür die Gelegenheit zu ausgiebiger PR für sein SpiegelTV. Die Frage: Wer schützt unsere Kinder vor den Jugendschützern? blieb wieder unbeantwortet. Manfred Riepe

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