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Rußlands radioaktive Strände

■ Abgesoffene Atom-U-Boote lecken vor der Kola-Halbinsel und vor Kamtschatka

Straßburg (taz) — Große Teile der russischen Küste werden durch atomare Altlasten der Roten Armee verseucht. EG-Umweltkommissar Carlo-Ripa de Meana sagte der taz am Rande einer WORLD-MEDIA-Umweltkonferenz in Straßburg, abgesoffene Atom-U- Boote mit Reaktoren und Waffen an Bord würden als strahlende Altlast die Küste der Kola-Halbinsel und die fernöstliche Pazifikküste der Halbinsel Kamtschatka atomar verseuchen. Entsprechende Information hätten Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften ihm auf einem Moskau-Besuch bestätigt. „Die U- Boote sind leck, und die Russen verfügen nicht über die Technologie, die U-Boote ferngesteuert zu zerlegen oder zu bergen“, so der Umweltkommissar. Strahlen würde inzwischen auch die sibirische Küste an der Barentsee. Dort habe das Verklappen hochradioaktiver Abfälle die Küste in ein strahlendes Gestade verwandelt.

Im Herbst 1991 hatte die Umweltorganisation Greenpeace von den haarsträubenden Praktiken der Sowjets in der Barentsee berichtet. Die Militärs hatten strahlenden Atommüll in löchrigen Fässern und einmal sogar einen ausgemusterten U-Boot-Reaktor einfach in das flache Wasser vor der Nordmeer-Insel Novaja Semlja gekippt. Die Insel diente zeitweise auch für sowjetische Atomtests.

Über das Ausmaß der atomaren Verseuchung der Küste sind darüber hinaus nur wenige Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen. Dabei ist zum Beispiel die Ökologie in der Barentsee nicht nur für Rußland wichtig. Die Barentsee ist die Kinderstube vieler nordatlantischer Speisefische.

Verantwortlich für die gefährliche Geheimniskrämerei ist der militärisch-industrielle Komplex in Rußland. Die Militärs haben die hanebüchene Atompolitik der früheren Jahre zu verantworten, und jetzt halten sie den Daumen auf die Informationen. Rußlands Umweltminister Viktor Danilow-Danilian wich auf der Straßburger Konferenz Fragen nach den Atom-U-Booten bezeichnenderweise aus.

Dafür vermittelte der Berater des russischen Präsidenten Boris Jelzin, Alexander Jablokow, einen um so deutlicheren Eindruck vom Einfluß der Militärs und des militärisch-atomaren-industriellen Komplexes in Rußland. Die Hälfte aller Unternehmen in Moskau arbeite für die Rüstung. „In Sankt Petersburg arbeiten sogar 75Prozent aller Firmen in der Rüstungsindustrie. Unsere Gesellschaft ist gebaut worden, um den Militärs das Leben zu erleichtern.“ Und auch in der zivilen Atomindustrie zeigt der Komplex nach wie vor seine Macht. Obwohl weniger als fünf Prozent des russischen Stroms aus den auch für den Atombombenbau nutzbaren Reaktoren vom Typ Tschernobyl (RMBK) stammt, steht ihre Abschaltung noch immer in den Sternen. „Es gibt zwar Vorstellungen zur Abschaltung der RBMKs 1995“, so Danilow-Danilian vorsichtig. „Aber das Programm ist noch nicht festgeschrieben.“ Hermann-Josef Tenhagen

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