„Historische Verpflichtung“ zur Kontinuität

■ Die jüngste Demokratiebewegung stellt die Armee als „Wahrerin der nationalen Interessen“ in Frage

Als das Militär im Februar vergangenen Jahres gegen die gewählte Regierung von Premier Chatichai erfolgreich putschte, waren viele erstaunt. Nicht, daß Militärputsche in Thailand ungewöhnlich sind, schließlich gab es seit 1932, als die absolute durch eine Konstitutionelle Monarchie abgelöst wurde, bereits 17 davon. Doch die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre, die Thailand in die Nähe der erfolgreicheren asiatischen Nachbarn rückte, hatte das Bild eines fast zivilen Staates entstehen lassen — in der das Militär zwar allgegenwärtig schien, doch politisch an Bedeutung verlor.

Tatsächlich hatte sich Chatichai gerade damit unbeliebt gemacht, daß er versuchte, den Einfluß der bestimmenden militärischen Seilschaften zu verringern, in dem er Regierungsposten mit Personen besetzte, die der Armeeführung nicht genehm waren.

Und auch die thailändische Wirtschaft hatte in den vergangenen Jahren begonnen, ihre Beziehung zum Militär zu verändern, wie die 'Far Eastern Economic Review‘ beobachtet: Mehrere Banken und Großunternehmen hielten es nicht mehr für nötig, Ex-Generäle in ihren Aufsichtsrat zu holen, um ihren wirtschaftlichen Erfolg zu sichern.

Sechzig Jahre saß das Militär, mit kurzen Unterbrechungen, in Thailand am Schalthebel der Macht. Und noch jede zivile Regierung wurde vom Militär gestürzt, nicht immer so unblutig wie im Februar vergangenen Jahres. Die gegenwärtigen Proteste und die harte Reaktion beschwören Erinnerungen an die siebziger Jahre herauf. Auf die erfolgreiche Rebellion der StudentInnen gegen die Militärdiktatur unter Thanom Kittikachorn im Jahr 1973 folgte eine Zivilregierung, die mit dem Massaker an den StudentInnen der Thammasat Universität von Bangkok im Oktober 1976 ihr Ende fand.

Beobachter Thailands erklären die brutale Haltung des Militärs angesichts der jüngsten Demokratieforderungen einer wachsenden thailändischen Mittelschicht mit dem Charakter des Konfliktes. Der Oppositionsführer Chamlong — der bereits bei den vergangenen Wahlen als neue Alternative zu den traditionellen Vertretern auch der zivilen Politiker eine eigene Faszination in der Bevölkerung errungen hatte — habe mit seinem Hungerstreik nicht nur versucht, die Regierung zu stürzen, sondern den Charakter selbst der thailändischen Politik zu verändern. Er beschuldigte das Militär nicht nur der Korruption und Habgier, sondern stellte das Selbstverständnis der Armee in Frage, die sich — unter dem König — als Wahrerin der nationalen Interessen sieht — als einzig stabile Organisation gegenüber unfähigen Politikern und Bürokraten.

Dabei hat sich ein spezifisch thailändische Form militärischer Seilschaften entwickelt. Um im Militär Karriere zu machen, muß man nicht unbedingt ein professionell im militärischen Sinn sein. Es erfordert Loyalität gegenüber den Mitgliedern seines eigenen Jahrgangs ebenso wie ihre Protektion, erklären Beobachter. Zum inneren Zirkel der Macht im Militär zählen heute die Absolventen des „5. Jahrgangs“ der Chulachomklao Militärakademie, die ihren Abschluß im Jahr 1958 machten. General Suchinda gehört diesem Jahrgang an. Er und seine Kollegen setzen nun darauf, ihrer „historischen Verpflichtung“ gegenüber der eigenen nationalen Rolle gerecht zu werden. Jutta Lietsch