Kalli auf Kur

■ Aussteiger Feldkamp erholt sich fürs Einsteigen

Ein Samstag im August 1992. Auf dem Betzenberg in Kaiserslautern ist das Spiel zu Ende. Alle, die Schreibgeräte und Kameras ihr eigen nennen, eilen nach unten in den Presseraum. Ihr aller Blick schweift ungläubig umher, aber der Platz an dem runden Stehtisch mit Blick auf den Monitor bleibt leer. Helma ist nicht da — der obligatorische Sekt fehlt. Das Ritual, an das sich alle so sehr gewöhnt haben, es ist nicht mehr. Kalli ist weg.

Eine halbe Stunde nach dem finalen Gekicke in Gelsenkirchen, so Feldkamp, sei es ihm gekommen, daß für ihn die wenigen Wochen bis Juli zu kurz zum Regenerieren sind. Was er doch so nötig habe. Noch kurz nach dem 0:2 gegen Schalke hatte ihn ein Journalist auf Uwe Scherrs Wechsel ins Parkstadion angesprochen. „Der kann von mir aus gehn, wenn ich weg bin. Aber ich bin ja noch da.“ Doch Reiner Geye war ihm zuvorgekommen, Uwe Scherr bringt schließlich mehr als drei Millionen. Und Kalli hatte sich geirrt: Scherr weg, Kalli noch da. Im Laufe des Sonntags muß dann in ihm der Entschluß zum Aufhören gereift sein. Da zogen die schmerzlichen Bilder aus der vergangenen Saison an ihm vorbei. Und da hatte es auch angefangen mit den Querelen im Team, als einige wenige zu Sündenböcken wurden, wegen des Ausscheidens gegen den FC Barcelona. Doch Kalli rappelte sich auf, trotz schmerzendem Rücken. Und die Roten Teufel taten es ihm gleich, belegten zur Winterpause mit zwei Punkten Rückstand den vierten Platz.

Der 21.März aber war der Anfang vom Ende. Gegen den VfB Stuttgart stand es zehn Minuten vor Schluß 0:0, als die Westkurve nach einigen Rückpässen zu pfeifen begann und erste, noch leise Sprechchöre gegen den noch ein Jahr zuvor geherzten Trainer ertönten. Statt Kalli trat sein Co Reiner Hollmann ans Mikrofon, verkündete, sein Meister sei sofort nach Frankfurt gedüst, um seinen Flug nach Andalusien zu erreichen. Der kranke Rücken...

Dahinter stand aber mehr. Längst stimmte es nicht mehr zwischen Kalli und einem großen Teil des Teams. Scherr wurde gedemütigt, Haber brüskiert, als sie vor Länderspielen und Lehrgängen von der Tribüne aus zuschauen mußten. Das allwöchentliche Wechselspiel, im Vorjahr wegen der vielen Verletzten plausibel, verunsicherte alle. Dem verletzten Tom Dooley untersagte Feldkamp gar eine Reise in die USA zum dortigen Nationalteam.

Kopfschütteln, Ratlosigkeit, Wut... Warum macht der sowas? Eine viel gestellte Frage ohne Aussicht auf Antwort. Denn Kalli begann die Dinge schönzureden. Nach Auswärtspleiten schüttelte er sein weises Haupt, eine Woche später lobte er nach Heimsiegen sich und die Seinen in den höchsten Tönen, übersah Schwächen, reagierte barsch auf Nachfragen.

Schließlich war er es selber leid. Am 17.Mai griff Kalli zum Telefonhörer und bat seinen verdutzten Präsidenten Thines um die vorzeitige Auflösung seines Vertrages. „Die Mannschaft hat von nichts gewußt“, beteuerte Wolfgang Funkel und äußerte Verständnis für den müden Coach. Auch Reiner Geye will es erst am Sonntag erfahren haben, und Stefan Kuntz wußte: „Ein paar werden jetzt jubeln“, ließ aber offen, um wen es sich handelte. Das Präsidium indes traf eine respektable Entscheidung. Der sympathische Intellektuelle Rainer Zobel von den abgestiegenen Stuttgarter Kickers wird Kallis Nachfolger.

Zobel (43) weiß, was auf ihn zukommt, getreu der Wahl-Worthülse „Das Erreichte bewahren“, weiß um den Druck, daß er, der alles andere als ein Popupulist ist, sich mit der derben Pfälzer Art erst noch arrangieren muß. Rainer Zobel wird vielleich erfolgreich sein, doch Helma wird uns schrecklich fehlen. Frau Zobel hat für den Sektkelch keine Hand frei. Schließlich ist ein Kleinkind zu versorgen. Ihr Mann indes könnte schon bald seinem Vorgänger begegnen. „Ich werde mich erholen“, waren Kallis letzte Worte. Und wie eine Drohung fügte er an: „Doch dann muß Kaiserslautern damit rechnen, daß ich wieder in die Bundesliga gehe.“ Günter Rohrbacher-List