: Die Geburtsstunde des „Eurokorps“
Zweitägiger deutsch-französischer Gipfel in La Rochelle/ Gummiformel regelt Einsätze zur Verteidigung und Friedenssicherung/ US-amerikanisches Mißtrauen und deutsche Schizophrenie ■ Aus Paris Bettina Kaps
Bei ihrem bis morgen angesetzten Gipfel in der Atlantikstadt La Rochelle wollen Präsident Mitterrand und Bundeskanzler Kohl das deutsch-französische Korps ins Leben rufen, das als Keimzelle für ein „Eurokorps“ gedacht ist. Der Planungsstab für die auf insgesamt 35.000 Soldaten konzipierte Truppe soll im Juli gebildet werden. Zu den 4.200 Mann der bestehenden deutsch-französischen Brigade in Böblingen sollen eine deutsche und eine französische Division hinzukommen.
Die Schöpfer des Eurokorps sind realistisch: Die Soldaten sollen kämpfen können, nicht palavern. Um das Schicksal von Babel (und Böblingen) zu vermeiden, werden die Einheiten nationalen Charakter behalten. Lediglich der Korpsstab ist integriert, er nimmt Sitz in Straßburg. Damit werden erstmals seit dem Krieg deutsche Soldaten in Frankreich stationiert — eine höchst symbolische Entscheidung. Im Oktober 1995 soll das Korps einsatzbereit sein.
Die Idee zur Gründung einer gemeinsamen Truppe hatten Mitterrand und Kohl im Oktober aus dem Hut gezaubert, doch bei der Konkretisierung, insbesondere der Aufgabenbestimmung, hakte es. Acht Monate später formulierten ihre Diplomaten einen Kompromiß, den die Nato-mißtrauischen Franzosen ebenso wie die US-treuen Deutschen unterschreiben können.
Verteidigung und humanitäre Hilfe
Das Armeekorps erhält drei Aufträge: Kampfauftrag zur Verteidigung der Nato-Verbündeten, Einsatz zur Friedenssicherung, humanitärer Einsatz in Katastrophenfällen. Im Kriegsfall soll das Korps den europäischen Pfeiler der Nato stärken und dabei unter vorübergehende Einsatzkontrolle des militärischen Kommandos der Allianz gestellt werden. Die Truppe dürfte dann ähnlich operieren wie die französische Division im Golfkrieg.
Vorrangig soll das Korps jedoch „im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) und in Übereinstimmung mit den Zielsetzungen der Europäischen Union eingesetzt werden“. Dabei ist an Krisenregelung wie im Fall Ex-Jugoslawiens gedacht, wo der Nato die Hände gebunden sind. In einem Zwischenbericht hieß es, das Korps solle „den Direktiven der Europäischen Union“ unterstellt werden; dieser Passus zielte klar auf die Schaffung einer europäischen Verteidigungskomponente. Ex-Außenminister Genscher setzte jedoch eine Änderung durch, so daß von einer europäischen Armee keine Rede mehr sein kann. In dem für La Rochelle vorbereiteten Papier stand nur noch: „Die Aufträge des Eurokorps stehen in der Perspektive einer Europäischen Union.“ Eine Gummiformel regelt die Einsätze: Sie müssen von den politischen Gremien „unter Wahrung der nationalen verfassungsrechtlichen Grenzen sowie der Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen“ erteilt werden. Damit wird den Bedenken der Deutschen gegen einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Bündnisgebietes Rechnung getragen. Paris spekuliert offenbar darauf, daß das Verbot mit französischer Rückendeckung (wie bei der Nachrüstungsdebatte 1983) fallen könne.
Das deutsch-französische Korps soll durch Streitkräfte anderer WEU-Länder erweitert werden. Belgien, Luxemburg und Spanien sind interessiert. Briten, Niederländer und die USA hingegen machen Front gegen die neue Truppe.
Obwohl sich Bonn nach Kräften bemüht hatte, bei US-Regierung und Nato alle „Mißverständnisse“ auszuräumen, befürchten diese eine Schwächung der atlantischen Allianz. „Drahtzieher des Korps ist Präsident Mitterrand, der Frankreichs traditionelle Distanz zur Nato hinübergeführt hat in die Ära nach dem Kalten Krieg, mit dem Argument, die Gemeinschaft müsse ihre eigene Verteidigung vorbereiten und ihre Abhängigkeit von US-Hilfe reduzieren“, schreibt die 'International Herald Tribune‘. Tatsächlich hatte Mitterrand im Herbst erklärt, er „sehne den Tag herbei, an dem Europa für sich selbst sprechen“ könne.
Die schwierige Harmonie zu dritt
Während Frankreichs Verhalten die USA nicht überrascht, bereitet der deutsche Eiertanz zwischen Nato und Europa überall Probleme. In Frankreich wird über die „diplomatische Schizophrenie“ des Partners gemurrt. So hatte Genscher die Pariser Regierung vor den Kopf gestoßen, als er den US-Plan unterstützte, die Nato zur Friedenssicherung in Osteuropa einzusetzen. In den letzten Wochen hatte Bonn versucht, die USA zu besänftigen, indem es das Eurokorps als Ergänzung der Nato verkaufte und „vom großen Schritt“ der Franzosen hin zur Allianz sprach. Doch der deutsche Traum von der Harmonie zu dritt ist eine Illusion: Die Außenminister Frankreichs und der USA konstatierten bei ihrem jüngsten Treffen erneut, daß ihre Ansichten über die Rolle der Nato in Europa völlig auseinandergehen.
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