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Mit faulen Eiern für mehr Lehrer in NRW

In Nordrhein-Westfalen reißen die Proteste gegen die SPD-Schulpolitik nicht ab/ Von den knappen öffentlichen Kassen mögen LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen nichts hören/ Gutachten im Mittelpunkt der Debatte  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Fluchtartig verlassen die Menschen die Bühne. Nur einer harrt aus. Manfred Dammeyer redet scheinbar unbeirrt weiter. Mit hochrotem Kopf steht der Bildungsexperte und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Düsseldorfer Landtag vor dem Mikrophon, während rechts und links die Eier niederprasseln. Der glibbrige Protest ist bald vorüber; was bleibt, sind Pfiffe und Buhrufe, die den größten Teil der Rede schlucken. Dammeyer hat Pech. Für die knapp 25.000 LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen, die sich am späten Dienstag nachmittag in der Düsseldorfer Innenstadt zum Protest versammelt haben, spielt er die Rolle des Blitzableiters. Tatsächlich gilt der Zorn der DemonstrantInnen der Düsseldorfer Landesregierung und hier ganz besonders dem Kultusminister Hans Schwier und dem Ministerpräsidenten Johannes Rau. Rau hat die Demo in Erwartung des Protestes bewußt gemieden. Rau nimmt am Dienstag abend von einer Delegation lediglich die 1,2 Millionen Protestunterschriften in Empfang.

„Nicht sparen auf Kosten unserer Kinder und Lehrer — Herr Rau!“ lautet das Motto der unter anderem von der GEW und verschiedenen Elternverbänden organisierten Demonstration. Der Zoff im Schulbereich währt nun schon seit Monaten. Aktionen und Demonstrationen in fast jeder Stadt. Am Dienstag die eher linken Verbände, am Mittwoch abend gefolgt von einer Großveranstaltung des gediegen konservativen Philologenverbandes.

Was geht da ab an den nordrhein- westfälischen Schulen? Wer speist diesen ungewöhnlich ausdauernden Protest? Die Antwort gibt ein 600 Seiten starkes Konvolut, das die Landesregierung selbst bei der Unternehmensberatungsfirma Kienbaum in Auftrag gegeben hat. Seit Ende letzten Jahres liegt der mehrere Kilo schwere Band vor, und seither macht ein Name im Bildungssektor Karriere, der sich bis dahin lediglich in den Spalten der Wirtschaftspresse fand: Kienbaum, Kienbaum, Kienbaum, dieser Name steht inzwischen für eine wirtschaftliche Bestandsaufnahme des Schulsystems, die weit über NRW hinaus für Furore gesorgt hat.

Der Düsseldorfer Bildungspolitik stellt die Studie ein verheerendes Zeugnis aus. Ohne eine „Grundsanierung“ sei das Schulsystem in NRW nicht zu retten. Wollte man in NRW die vom Kultusministerium selbst aufgestellten Ansprüche in den Schulen realisieren, wäre die sofortige Einstellung von 17.000 neuen Lehrern und die Wiederbesetzung jener 8.000 Stellen nötig, die nach den bisherigen Planungen mit dem Kw- Vermerk (kann wegfallen) belegt sind. Insgesamt also 25.000 Stellen. Als diese Zahl bekannt wurde, hob zunächst bei den Lehrerverbänden ein allgemeines Hurra-Geschrei an, denn genau diesen Fehlbedarf hatten sie seit Jahren im Verein mit den Düsseldorfer Oppositionsparteien dem Kultusminister vorgerechnet. Die Freude währte indes nicht lange, denn im Gutachten wird auf vielen Seiten dargelegt, daß man die Differenz zwischen Soll und Haben auch durch Beschneidung des Solls zum Ausgleich bringen kann. Statt der errechneten Neueinstellungen also auch Kürzungen von Ansprüchen bei LehrerInnen, SchülerInnen und Schulpolitikern.

25.000 neue Lehrerstellen kosten zwei Milliarden Mark im Jahr. Diese zusätzliche Belastung kann sich das schon mit über 100 Mrd. Mark verschuldete Land — nicht nur nach Meinung des Finanzministers — unter keinen Umständen mehr leisten. Schon heute verschlingen die 158.000 LeherInnen jährlich 12,4 Mrd. an Personalkosten. Seit 1970 (87.600) ist die Zahl der LehrerInnen auf heute rund 158.000 angestiegen — bei abnehmender Schülerzahl. Während 1971 noch ein Lehrer auf 35 Schüler kam, verbesserte sich die Quote bis zum Jahr 1990 auf 16 Schüler pro Lehrer. Auf diese Zahlen, die der Kultusminister in einem Faltblatt gleich hunderttausendfach verbreitet, reagierte Uwe Franke, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, bei der Demonstration am Dienstag so: Das sei eine „Milchmädchenrechnung“, denn „Kienbaum hat nicht untersucht, ob wir schon 1970 zu wenig Lehrer hatten, sondern er hat festgestellt, daß heute 25.000 Lehrerstellen fehlen“.

Mit einem sogenannten „Handlungskonzept“ versucht die Düsseldorfer Landesregierung, die Lücke der aktuell fehlenden 17.000 LehrerInnen zu schließen. In diesem Jahr werden 5.300 LehrerInnen neu eingestellt. Rechnet man die 2.900 in Pension gehenden ab, bleiben netto 2.400 zusätzliche Stellen. Die restlichen 14.600 Stellen will der Kultusminister durch Reduzierung von Entlastungsstunden und der Altersermäßigung für LehrerInnen ebenso wie durch Erhöhung der Klassengrößen und durch eine Reduzierung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl für die SchülerInnen „erwirtschaften“. Tatsächlich, so hat die Landesregierung vorgerechnet, würden nach Umsetzung des Handlungskonzeptes wöchentlich im Vergleich zur aktuellen Situation 375.000 Lehrerstunden zusätzlich für den Unterricht zur Verfügung stehen. Doch diese Message kam in der Öffentlichkeit nicht an. Es sei der Landesregierung „noch nicht gelungen“, so hieß es Ende März in einem internen Papier der Düsseldorfer Staatskanzlei, deutlich zu machen, „daß sie den zentralen Kritikpunkt in der bildungspolitischen Diskussion der zurückliegenden Jahre mit Beginn des kommenden Schuljahres weitgehend beseitigt haben wird: den Unterrichtsausfall... Die Lehrerarbeitszeit kommt wieder direkt bei allen Schülern an. Es findet mehr Unterricht statt denn je.“

Von dieser Rechnung mögen die protestierenden Eltern, Schülerinnen und LehrerInnen nichts hören. Der zusätzliche Unterricht werde eben auf Kosten von größeren Klassen und Mehrarbeit der LehererInnen erreicht. NRW gerate damit bildungspolitisch bundesweit ins Hintertreffen.

Tatsächlich müssen die LeherInnen in NRW demnächst mehr ran. In anderen Bundesländern sieht es indes nicht viel anders aus. So hat Berlin erst jüngst die Pflichtstundenzahl für alle LehrerInnen pro Woche um eine Stunde erhöht, und auch in Bayern, Niedersachsen und Hessen wird an eine Erhöhung der Klassengröße gedacht. Durch die Reduzierung der Altersermäßigung paßt sich NRW im übrigen nur der bundesweit üblichen Regelung an. Während es in NRW bisher schon ab 51 Jahre Ermäßigungen gab, mußten die Pädagogen in den meisten anderen Ländern bis zum 55. Lebensjahr die volle Stundenzahl geben.

Vergleicht man die Zahl der SchülerInnen mit der Zahl der LehrerInnen, dann liegt NRW bundesweit sogar im oberen Drittel. Daß der Vergleich bei den Klassengrößen wesentlich ungünstiger ausfällt, hat nicht zuletzt mit den zahlreichen pädagogischen Sonderwegen zu tun, die NRW sich leistet.

In keinem anderen Flächenland gilt das 10. Pflichtschuljahr, und nirgendwo sonst finden sich mehr teure Ganztagsschulen als in NRW.

Die Reduzierung der Plichtstundenzahl für SchülerInnen, die der Kultusminister Schwier als „Arbeitszeitverkürzung“ populär zu verkaufen versucht, bleibt auch dann richtig, wenn sich Verbandsfunktionäre der LehrerInnen und Eltern dagegen wehren. Was fehlt, ist eine pädagogische Konzeption für die Kürzungen und eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Schultypen. Da hat Schwier, der die Stundenbelastung für SchülerInnen seit langem für zu hoch hält, tatsächlich eine Bringschuld. Insider aus dem Kultusministerium wissen auch, warum der Minister damit nicht rüberkommt. Das Haus sei durch die Lehrerlobbygruppen „verbandsverseucht“. Alles was denen nicht passe, komme im Hause nicht vorran.

„Es gibt kein Ministerium in Düsseldorf, daß sich so gegen die Hausleitung abschottet wie bei uns.“

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