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Kap der Angst

■ Über die Plakat-Anschläge der Parteien zur Wahl/ Gewalt, Drogen und Asylrecht beherrschen die Straße

Angst — das spüren alle, könnte man, frei nach einer verflossenen Wahlparole der Diepgen-Partei, resümieren, wenn man die diversen Wahltafeln wirklich noch wahrnimmt. Daß die Zukunft nicht mehr rosig aussieht, wissen inzwischen alle, und wenn die Werbeprofis die frischen Meinungsumfragen mit ihren berufstypischen Zutaten vermixt haben, kommt als Botschaft dies heraus: Keine Angst, wir haben auch eine. Nämlich die, daß ihr Kawuttkes nächsten Sonntag zu Hause bleibt oder die Ausfallstraßen ins Grüne verstopft, um euch mit Autostaus rauszureden, wenn ihr nicht an die Wahlurnen geht.

Dabei sind doch die Straßen so unsicher, nicht nur durch »Hütchenspieler und Drogenhändler«, denen dort »das Handwerk gelegt werden« soll, es gilt ganz allgemein: »Stopp der Gewalt auf unseren Straßen«. Der Terror der Trabis, die penetrant die Porschefahrer ausbremsen, die rüden Daimler, die Wartburgs wegdrängeln, der Krieg der Zwei- gegen die Vierräder, Fußgänger gegen Pedaltreter? Na ja, Gewalt eben. Da müßte man ganz radikal... — Bloß nicht! Davor hat die CSF (Christlich-Soziale Freipartei) noch mehr Angst als vor den Abstinenzlern.

»Wählen gehen: Berlin — Kein Platz für Radikale!« so die Parole der roten Regierenden. RADIKAL! Sind das auch die grün-bunten Comics, naive Malerei, die alle Ausländer zu (toten) Kennedys machen will: »Auch ich bin ein Berliner— gilt nicht nur für Amerikaner« und mit »Was, schon wieder mehr Miete« die alternative Empörung szenehaft skizziert.

Mit Wohnungsnot wollen alle »den Nagel auf den Kopf treffen«, gleichzeitig auch »Kurs halten — aber sicher«, in Wilmersdorf sollen gar die »rot-grünen Bremser« abgewählt werden. Und dann? Wehe, wenn sie losgelassen? Ein bunter Auflauf im Treppenhaus, »Kein Platz für Miethaie« ist der Beitrag der zahnlosen Nagelpartei zum Thema.

Die Partei der Zahnärzte und Hausvermieter fordert hingegen penetrant zum »Bilanz ziehen« auf. Es ist doch wohl nur die engere Klientel gemeint? Die Gysis (Don't worry, take...) reizen ihre Narrenfreiheit aus und empfehlen mit Galgenhumor: »Kopf hoch — nicht die Hände«. Auf gut deutsch: Ostler, ergib dich nicht, Wessi, schlag nicht immer die Hände über dem Kopf zusammen. Oder renitent- provokant: »Rote Socken — warme Füße« — und das bei dieser Ozonhitze!

Braune Strümpfe sind einfacher gestrickt. Die Heidenangst bietet schlicht »Wohnungen statt Scheinasylanten« zum Tausch. Und das Geld soll gefälligst germanisch bleiben. »Mit uns die Mark retten«— He Alter, haste mal 'n Ecu— soweit kommt's noch! Kazper

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