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■ LOKALTERMINUngewollte Liebeserklärung

Ungewollte Liebeserklärung

Es ist kein Zufall, daß ich hier im »Zum Zum« sitze. Es ist auch kein Zufall, daß ich schon betrunken bin. Genausowenig ist es ein Zufall, daß der Mensch Augen hat.

Hardrock im Radio, großer abendlicher Andrang. Die Fassade der kahlen Kirche gegenüber wurde vor kurzem gereinigt. Oberflächliches Gerede über Autos, Zylinder und Schraubenmuttern im Angesicht des Heiligen Kreuzes.

Der Dicke neben mir stinkt wie die Pest und auch das ist kein Zufall. Das Chop-Suey — delikat, der Nachtisch — fatal.

Der verrückte Motorradfahrer und seine Begleiterin, der Versicherungsvertreter, der Taxifahrer, der Typ mit den Postkarten, der Bassist: keiner von ihnen ist in Eile, auch das ist kein Zufall. Niemand steht am Kickertisch. Überall Stimmengewirr, man kommt zum Reden ins »Zum Zum«.

Als ich das erste Mal schüchtern- ängstlich im »Zum Zum« war, gab es einen Abend mit Lichtbildern, Livemusik und einer Fotoausstellung. Das war vor sieben Jahren. Die damals noch ruhige Eckkneipe, heute vom tosenden Großstadtverkehr eingeschlossen, ist — ohne schüchterne Berührungsängste — der interessanteste Ort im Wedding, dem von der Megastadt verschlungenen Stadtteil.

Das »Zum Zum« mit seinem ausgezeichneten Metalfunk, seiner vortrefflichen Lage und seinen 18 im Schweiße ihres Angesichts arbeitenden »Sklaven«, ist zum Rettungsanker unseres geliebten Wedding geworden.

Studenten, Künstler, Zechpreller, Wessis und Ossis, Türken und Punks und die ganze restliche Fauna lassen hier ihr Geld, und das nicht allein; denn allein ist man nichts. Mit oder ohne Gulaschsuppe, Rotkohl oder Soße à la Provencal, den »Pearljam« oder »Redhotchillipeppers«, Sambuca oder Tequila, den beiden Geschäftsführern Peter oder Jobst machen sie den Nachmittag zur Vergangenheit, die Nacht zum Tag, den Streß zum reinen »Flex« und das As zum König.

Ganz gleich, ob man hier ist oder nicht, nur schaut oder spielt, liest oder ißt, weint oder lacht. Wir gehen nach Hause, kommen aber wieder.

»Zum Zum«, täglich 18.30 Uhr — open end, Prinzenallee/Ecke Soldiner Straße

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