: Nichts hören, nichts sehen — nur schlafen
■ CDU-Landrat ließ 1985 Antisemitismus geschehen/ Er eröffnet morgen Ausstellung über jüdische Gemeinde
Rathenow. Im brandenburgischen Heimatmuseum Rathenow/Havel wird morgen eine Ausstellung über die jüdische Gemeinde der Vorkriegszeit eröffnet. Die Begrüßungsworte wird ein Mann sprechen, an dessen Integrität Zweifel bestehen. Der Mann heißt Dieter Dombrowski und ist dank des Rückenwindes der Berliner CDU-Betonfraktion (Diepgen, Landowski, Kittelmann) Landrat von Rathenow. Er wird — weil dies Politikerart ist — Betroffenheit über das Schicksal der jüdischen »Mitbürger« äußern und, von Amts wegen, für die Gegenwart pädagogische Lehren aus der Ausgrenzung, Deportation und Ermordung der Rathenower Juden ziehen. Den Anfängen wehren, so oder so ähnlich wird sein Credo lauten.
In der Praxis allerdings — und nur daran sollte man Politiker messen — hat Dieter Dombrowski vor einigen Jahren den Anfängen nicht gewehrt. 1985 ist er stumm geblieben. Damals war er Landesvorsitzender der Jungen Union und begleitete in dieser Eigenschaft eine Gruppe CDU-Nachwuchsler zum Hambacher Schloß in Hessen. Drei Jahre später hatte das Landgericht zu untersuchen, was auf dieser Fahrt und am selben Abend in einer Frankfurter Jugendherberge tatsächlich geschah. Das Gericht verurteilte zwei junge Männer wegen Volksverhetzung und dem Tragen von verfassungsfeindlichen Nazi-Symbolen. In der Begründung des Gerichts hieß es, daß erheblich mehr vorgefallen war, als das wenige in der Anklageschrift Formulierte. Keiner der Jugendlichen, die im Bus als auch in der Jugendherberge das Horst-Wessel-Lied sangen, die Arme zum Hitlergruß streckten und »Sieg Heil« sowie »Ausländer raus« gröhlten, hätten auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. »Am wenigsten«, so schrieb das Gericht, hätte die Zeugenaussage des Reiseleiters Dombrowski »überzeugt«. Er gab an, nichts gesehen und nichts gehört zu haben, obwohl andere Zeugen bekundeten, daß dies nicht stimmen könne; und mehr noch, daß Dombrowski das Sieg-Heil-Gebrüll mit Absicht überhört und nicht verhindert habe.
In einer Berufungsverhandlung sprach das Landgericht Berlin 1989 die beiden jungen Männer frei. Die Richter bezweifelten nicht, daß es zu erheblichen rechtsextremistischen Ausschreitungen gekommen war. Es sei aber nicht mehr zu klären gewesen, in welchem Ausmaß sich die beiden Angeklagten daran beteiligt hätten. Dombrowski hatte erneut bezeugt, daß er von den ganzen Turbulenzen nichts wissen könne, da er »geschlafen« habe. Wer nichts sehen wollte, sagte Bundespräsident von Weizsäcker in einer berühmt gewordenen Ansprache zum 8.Mai, der sah auch nichts. Und wer nichts hören wollte, der hörte auch nichts. Politiker wie Dombrowski machen Karriere, obwohl (oder weil) sie sich blind, taub und stumm stellen. aku
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen