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Mainz darf nicht Mainz bleiben

Im Elfenbeinturm auf dem Lerchenberg: Die „25. Mainzer Tage der Fernsehkritik“  ■ Von Sabine Jaspers

Wir wissen nicht, was man Ihnen schon alles empfohlen hat, aber uns empfahl ein Professor während des Publizistik-Studiums die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“. Einmal im Jahr treffen sich die Programm-Macher mit den Kritikern in der Höhle des ZDF-Löwen auf dem Lerchenberg. Mehrere Tage lang diskutieren sie in einem fensterlosen Raum die Aussichten des Fernsehens. Daß Themenstellung und Reflexion eine Zustandsbeschreibung des Mediums liefern, gehört zur Tradition. Anläßlich der „25. Mainzer Tage“, die in dieser Woche zelebriert wurden, wählte man die Frage „Kritik am Markt — Was kosten Qualität und Quote“ als Überschrift.

Zwar ist das ZDF die finanzstärkste europäische Fernsehanstalt, doch der öffentlich-rechtliche Löwe hat seine Zähne verloren. Die private Konkurrenz raubt selbst in seinen angestammten Revieren Zuschauerschaften und Werbegelder. Nicht nur das ZDF antwortet mit immer mehr Unterhaltung. Politische Informationssendungen bleiben mit immer kürzer werdenden Sendezeiten auf dafür schlechteren Programmplätzen auf der Strecke. Doch so, als ob er diesbezüglich kein Wässerchen trüben könnte, beschwörte Hausherr Dieter Stolte die Programmverantwortlichkeit, den „öffentlich-rechtlichen Marktplatz, auf dem Meinungen ausgetauscht werden“. Daß „Werte zu Waren verfallen“, muß er beklagen. In der Diskussion leitet er gleichsam den Offenbarungseid eines Intendanten: Er sei ein „Gefangener der Struktur-, Standort- und Ordnungspolitik, in der der Fachmann nichts gilt“. Allein fünf Ministerpräsidenten müsse er künftig ausbalancieren, und „das kann selbst der geschickteste Tellerspieler nicht“. Kurz: die anderen sind an allem schuld. Doch obwohl Stolte händeringend um Verständnis bittet, erntet er kein Mitleid. „Das machen Sie schon“, ruft einer aus dem Publikum.

In wohlgesetzter Rhetorik kramte dann der Taschenbuchverleger Heinz Friedrich die Worte Schillers, die ja nie verkehrt sind, aus der Klassikerkiste hervor. Schade, daß er immer dann, wenn in seinem Vortrag ein Schlüsselsatz am Horizont des Manuskripts aufzutauchen schien, in leise Nuscheltöne verfiel. Friedrich, eben doch ein Mann des Printmediums. Anbei der Extrakt des Verstandenen: Man gibt Freiheit durch Freiheit, und „der Mensch braucht Sinn. Wer einen Wegweiser aufstellt, der muß wissen, wo er hinweist.“ Nach Friedrichs Ansicht ist die Richtung klar: „Man muß sich entscheiden.“ Kulturproduktive Qualität ist angesagt, nicht die Quoten, die er als „Statistik des schlechten Geschmacks“ verrechnet. In der Verweigerung liege die produktive Chance von ARD und ZDF.

Mit moderner Metapher-Polemik tritt dagegen Wolfgang R. Langenbucher, Kommunikationswissenschaftler aus Wien, ans Podium. Die Einschaltquote sei eine „Morbus Thoma“, RTLplus-Chef Helmut Thoma stand dieser Wortschöpfung Pate. Der Verdummungsvirus verbreite sich „metastasenartig“. Jetzt gelte es, ihn mit Hilfe einer „intellektuellen Pharmafabrik“ zu bekämpfen. Langenbucher, der sich selbst als „Apologet des öffentlich-rechtlichen Systems“ bezeichnet und unter „Artenschutz“ stellen möchte, echauffiert sich während seines Plädoyers nach allen Kräften. Sein ganzer Körper ist in Bewegung, wenn er — auf den Schuhspitzen wippend und mit den Händen ringend — die Quellen der Kapitalismuskritik anzapft. Der Begriff der „Minderheitenprogramme“ sei kulturpolitischer Schwachsinn. Wenn nur ein Prozent der Zuschauer durch eine Sendung zum politischen Diskurs angeregt werde, sei mehr gewonnen als im Musikantenstadl — auch wenn der ebenfalls politische Bedeutung habe. Wunderlich nur, daß er mit dem ARD-Vorsitzenden Friedrich Nowottny so hart ins Gericht geht, während er für ZDF-Gastgeber Stolte nur wohlmeinende Worte von dessen „unermüdlichem Kampf für Qualität“ findet. Abgesehen davon: die Sendewelt ist seiner Ansicht nach in Ordnung. Das Programm sei „glänzend“, nur Selbstbewußtsein und Selbstdarstellung wären im Keller. Kurz vor der Heiligsprechung der öffentlich-rechtlichen Medien beendete Langenbucher seine Rede.

Im Gegensatz zu den sprühenden Worten dieses Kommunikationsprofessors plätscherten Diskussion und Folgevorträge als langer ruhiger Fluß durch die zweitägige Veranstaltung. Viele hingen trügerischen Erinnerungen an und beschwörten die gute alte Medienzeit in Sachen Programm und TV-Rezension. Die übrigens hat für Kritiker Karl-Otto Saur heutzutage ebensowenig Relevanz wie Spaghetti-Eis: Sie sei „falsch, süß und kühl“.

Während sich ZDF-Programmchef Klaus Bresser nicht um „die Rettung des Abendlandes, sondern um die Rettung des Abendprogramms“ bemühte und er einen „Spagat“ zwischen Qualität und Mehrheitenprogramm machen wolle, wünschte ihm Rolf Bringmann von West3, daß ihm bei dieser Übung mehr als die Hose reißen möge. Man müsse zum Qualitätsbewußtsein zurückkehren, ein öffentlich-rechtliches Profil sei vonnöten, so die Meinung mancher Macher und vieler Kritiker.

Die zunehmende Bürokratie der Anstalten verteufelte Klaus Bednarz. Der Austausch eines kaputten Lampenschirms dauert sechs Monate, bemängelte der Leiter des ARD-Magazins Monitor. Daß der Markt immer Qualität vertragen kann, glaubt Ruprecht Eser, der jetzt bei dem Informationssender Vox alias Westschiene Programmdienst tut. Doch nach den Zahlenkolonnen des ZDF-Unternehmensberaters Emil Kettering findet nur ein kommerzieller Nachrichtenkanal einen Marktplatz. Die ARD sei eine besonders bedrohte Senderart. Wennn die Öffentlichkeit fragen würde, wieviele gebührenfinanzierte Sender das Land brauche, hätte vor allem das Erste schlechte Karten. Denn viel mehr als das ZDF hängt es am Gebührentropf. Deshalb verordnete er auch gleich einen Schrumpfkurs des Satellitenprogramms 1plus. Ganz anderer Ansicht ist ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer: Lieber solle man sich gemeinsam die Konkurrenz vornehmen. Ohne die föderalistische ARD wäre das Fernsehen wie die Bundesrepublik ohne Bundesländer.

Daß die „Mainzer Tage“ zwischen „allgemeinem Bußgang“ (Heinrich von Nußbaum) und „beliebtem Treffpunkt“ (Dieter Stolte) stets als „stabile Klagemauer“ gedient haben, hat Tradition wie Medienredakteurin Cornelia Bolesch in einem Resümee der Tagungen seit 1968 feststellen mußte. Einschaltquoten seien schon Thema gewesen, bevor es die Privaten gab, und “immer noch fehlt den Öffentlich-Rechtlichen die Seele.“ Und was macht das Ganze für einen Sinn macht, wennn es keine sichtbaren Folgen im Programm gibt?

Alles in allem wurde viel gejammert und wenig Selbstkritik geübt. Die „Mainzer Tage“ spiegelten die öffentlich-rechtliche Ratlosigkeit in einer Zeit, in der keiner mehr so recht weiß, wo der Königsweg in der Programmlandschaft verborgen liegt, wider. Wie das Kaninchen vor der Schlange scheinen ARD, ZDF und Kritiker den Privaten gegenüberzusitzen, das ist die Krise. Darüber hinaus erwies sich die Tagung schon deshalb als nicht auf der Höhe der Zeit, da Frauen unterrepräsentiert und gebürtige VertreterInnen der neuen Bundesländer gar nicht auf dem Podium repräsentiert waren.

Wäre da nicht Thomas Gottschalk gewesen, der die höchste Einschaltquote der „Mainzer Tage“ verbuchen konnte, wäre wohl bei manchen nur eine resignative Stimmung zurückgeblieben. Der 42jährige Berufsjugendliche brachte den frischen Wind in den Elfenbeinturm, der der leicht anachronistisch anmutenden Vorstellung gefehlt hatte. Denn auch wenn der blonde Hüne mit den ultraspitzen Stiefeletten kein Patentrezept gegen die „Morbus Thoma“ wußte: Mit seinem lockeren Humor zauberte er eine leichte Aufwärtsbewegung in die Mundwinkel der grauen Herren, die noch auf keiner Pressekonferenz gelacht haben.

Weil Gottschalk so gut war, hat 3sat kurzfristig unter dem Titel Kritik am eigenen Leib die Einlage des Entertainers um 22.30 Uhr in sein Programm genommen. Am Montag, den 25.5., 23.50Uhr ist eine Dokumentation der „Mainzer Tage“ im ZDF-Programm. Beide Filme hat Dietmar Hochmuth in Szene gesetzt.

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