: Spannende Präsidentschaftswahlen
■ Bei Waldheims Nachfolge werden sowohl dem SPÖ- wie den ÖVP-Kandidaten Chancen eingeräumt
Wien (afp) — Die Stichwahl am Sonntag zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Rudolf Streicher (SPÖ) und Thomas Klestil (ÖVP) wird allen Voraussagen nach mit einer äußerst knappen Entscheidung enden. Zum Zünglein an der Waage werden die mehr als 1 Million Wähler werden, die im ersten Wahlgang für die Kandidaten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Heide Schmidt, und den Kandidaten der Grünen, Robert Jungk, gestimmt haben.
Dem Meinungsforschungsinstitut IFES zufolge handelt es sich „um völlig ungebundene Wähler, die man schwer einschätzen kann“. Die offene Frage ist, in welchem Ausmaß Schmidt-Wähler zum ÖVP-Kandidaten Klestil tendieren und Wähler der Grünen zum SPÖ-Kandidaten oder ob sie es vorziehen werden, den Urnen fernzubleiben. Für Rudolf Streicher — der im ersten Durchgang 40,7 Prozent der Stimmen erzielte — wird außerdem entscheidend sein, in welchem Ausmaß es gelingt, sozialdemokratische Nichtwähler des ersten Wahlganges zu mobilisieren. Klestil konnte zur allgemeinen Überraschung 37,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, weitaus mehr als die Umfragen dem zu Beginn des Wahlkampfes in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannten Berufsdiplomaten zugebilligt haben. Meinungsforscher kamen wenige Tage vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang zu der Auffassung, daß „zwar Rudolf Streicher eine etwas bessere Ausgangsposition hat, Thomas Klestil jedoch eine reelle Chance, die Wahl zu gewinnen“, wie es der Chef des Fessel-Institutes ausdrückte. Nach einer TV-Diskussion zwischen Streicher und Klestil billigte die Mehrheit der Kommentare Klestil ein etwas besseres Abschneiden zu. Der 59jährige Klestil, so hieß es, zeige weitaus mehr Engagement für das angestrebte Amt als der 53jährige Streicher, von dem bekannt ist, daß er nur ungern dem Ruf der Partei zur Kandidatur gefolgt ist. Klestil wirkte lebhaft, seine Antworten waren präzise und geschliffen.
Streicher gab sich gelassen, wirkte behäbig und blieb in Sachfragen wie EG-Beitritt und Neutralität eher verschwommen. Streicher, der ehemalige Generaldirektor im Bereich der sozialistisch dominierten verstaatlichten Betriebe und spätere Minister der amtierenden Bundesregierung für diesen Bereich sowie für Verkehr, wird von den Wählern weitaus mehr mit seiner Partei identifiziert als dies bei dem ÖVP-Kandidaten Klestil der Fall ist. Wählerstromanalysen haben bestätigt, daß 63 Prozent für Streicher gestimmt haben, weil er Kandidat der SPÖ ist, jedoch nur 39 Prozent für Klestil, weil er Kandidat der ÖVP ist. Um am kommenden Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt zu werden, muß Streicher jedoch über die eigenen Parteigrenzen hinaus Stimmen mobilisieren.
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