: „Schicken Sie besser Ihren Mann für den Job“
Noch gibt es keinen konkreten Fall im „Sterilisationsskandal“ von Magdeburg/ Eindeutig ist aber, daß Frauen sich in vorauseilendem Gehorsam unfruchtbar machen lassen, um überhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben ■ Aus Magdeburg B. Markmeyer
„Der Arbeitgeber hat zu dieser Frau gesagt: ,Garantieren Sie mir, daß Sie kein Kind mehr bekommen werden‘ und ihr nahegelegt, sich sterilisieren zu lassen“, sagt Editha Beier. „Und die Frau hat das dann gemacht.“ Seit die Gleichstellungsbeauftragte des Magdeburger Magistrats am Montag öffentlich den Vorwurf erhoben hat, Frauen in Sachsen-Anhalt seien in Bewerbungsgesprächen zur Sterilisation aufgefordert worden, gibt ihr Telefon keine Ruhe mehr. Diesmal ist es eine italienische Journalistin, die Auskunft haben will und, natürlich, will sie auch einen „Fall“.
Aber da hakt's. Denn als Editha Beier im Frühjahr das erste Mal auf Sterilisationen aufmerksam wurde, geschah das nebenbei. Eine Frau erwähnte in ihrer Beratungsstunde, sie habe sich, um einen bestimmten Job zu bekommen, nun sterilisieren lassen. Erst bei der zweiten oder dritten Frau fragte Beier nach: Mit dem Ergebnis, daß einzelne Arbeitgeber gezielten Druck ausüben. „Da hat's dann bei mir gefunkt“, erinnert sie sich. Wie sich schnell herausstellte, wußten Kolleginnen aus Stendal und Halberstadt von ähnlichen Fällen. „Zu mir kam eine Elektronikerin, Mitte zwanzig vielleicht. Der hatten sie auf ihre Bewerbung gesagt, sie solle für den Job besser ihren Mann schicken. Sie hat sich dann sterilisieren lassen und ist mit der Bestätigung wieder zu dem Betrieb“, erzählt Susanne Knoblauch, die Stendaler Gleichstellungsbeauftragte. Und Petra Steinert aus Halberstadt berichtet von „einer Oma, die verzweifelt war, weil sich ihre 19jährige Enkelin wegen Studiums und Jobs von vornherein sterilisieren lassen wollte“. Die ABM-Kraft Dorothea Honig hat selbst in der Klinik gelegen, mit drei sterilisierten Frauen auf dem Zimmer. Die Gründe der Frauen waren eindeutig: „Daß sie keine Stelle kriegen, daß die Pille jetzt Geld kostet und daß der 218 droht.“
Die Frauenbeauftragten sitzen bei Editha Beier und sind ratlos, aber auch wütend. Teils wollen sie, teils können sie den Kontakt zu den betroffenen Frauen, nach denen JournalistInnen verlangen, nicht herstellen. Die Beratungsgespräche waren anonym, von einigen Frauen wissen sie selbst den Namen nicht. Und in sämtlichen Gewerkschaftsbüros ist bisher kein Boß bekannt, der eine Sterilisation zur Einstellungsbedingung gemacht hätte. Schon schreibt die 'Magdeburger Volksstimme‘: „Handfeste Beweise fehlen“.
Tatsächlich: Daß ein Arbeitgeber für einen Job nur eine sterilisierte Frau einstellen wollte, um Ausfallzeiten wegen Schwanger- und Mutterschaft auszuschließen, wird sich auch dann kaum beweisen lassen, wenn die betroffene Frau aus der Anonymität herausträte. Denn sie hätte keine Zeugen. Was der „Sterilisations-Skandal von Sachsen-Anhalt“ ('Magdeburger Volksstimme‘) indes verdeckt, und eben das macht Editha Beier und ihre Kolleginnen wütend: Die gnadenlose Bereinigung des Ost-Arbeitsmarkts von weiblichen Arbeitskräften war und ist ein lautloser Skandal.
Denn engagierte Magdeburgerinnen bemühen sich seit Monaten, diese extreme Form frauenfeindlicher Arbeitsmarktpolitik öffentlich zu machen. Bereits am 13. März wandten sich die Frauen des Runden Tisches mit einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Sachsen- Anhalts, Werner Münch (CDU), in dem sie dagegen protestierten, daß einer Arbeitnehmerin „über ihre Absichten, sich Kinder anzuschaffen oder ob sie schwanger sei mündlich oder per Fragebogen“ Antworten abgerungen würden, die kein Arbeitnehmer geben müsse. Und, schrieben die Frauen an Münch: „Jüngeren Frauen wird sogar nahegelegt, sich sterilisieren zu lassen.“ Der Ministerpräsident, der jetzt tönt: „Wenn die Vorwürfe stimmen, ist das ein Skandal!“, hätte sich längst informieren können. Doch er beantwortete nicht einmal den Brief.
Karla Schulze, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis90/ Grüne im Magdeburger Landtag, wirft Münch denn auch vor, den Sterilisationsskandal „unter der Decke gehalten“ zu haben. Sie appelliert nun an Frauen, ihre alltäglichen Erfahrungen bei der Stellensuche öffentlich zu machen. Denn die, die jetzt „Skandal“ schreien, so Schulzes Fazit, vertreten genau jene Politik, die den Frauen systematisch den Weg zurück an einen Arbeitsplatz verbaue. Keinen Pfennig bewilligte die Regierung in den letzten beiden Jahren für Frauenförderung auf dem Arbeitsmarkt. Inzwischen sind von 100 Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt 63 Frauen und nur 37 Männer. Erst seit diesem Jahr zahlt die Regierung Arbeitgebern Zuschüsse, die Mädchen als Lehrlinge in gewerblich- technischen Berufen und Frauen über 45 einstellen sowie Teilzeitarbeitsplätze schaffen. Dafür sind 25 Millionen Mark bewilligt, die sich die Frauen aber mit Behinderten und Langzeitarbeitslosen teilen müssen. Zum Vergleich: Der Haushalt des Arbeitsministeriums insgesamt beträgt knapp drei Milliarden Mark.
Auf der Entbindungsstation der Medizinischen Akademie Magdeburg, die wegen des Geburtenrückgangs wie leergefegt ist, liegen derweil immer mehr Frauen, die sich sterilisieren lassen. Allein in der Akademie waren es 1.200 im letzten Jahr. Vor der Wende, so der Leiter der Gynäkologie, Wolfgang Weise, gab es im ganzen Land pro Jahr nur acht oder neun Sterilisationen. Weise führt den rasanten Anstieg allerdings auf „Nachholbedarf“ zurück, da in der DDR Sterilisationen nur ausnahmsweise bei schwerkranken Frauen erlaubt waren. Davon, daß Frauen sich aus Angst, nie mehr Arbeit zu finden, sterilisieren lassen, will Weise nie gehört haben.
Noch bis vor zwei Wochen wurden in der Medizinischen Akademie bedenkenlos Bescheinigungen über die Sterilisation ausgestellt — die Frauen dann an ihre Bewerbungsunterlagen hefteten. Bis Editha Beier und ihre Kolleginnen Klinikleiter Weise in einem Gespräch über die Gründe für Sterilisationen darum baten, solche Bestätigungen nicht mehr auszugeben. „Das immerhin“, sagt Editha Beier, „haben wir also abgestellt. Aber deshalb wird nicht eine Frau mehr eingestellt.“
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