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PREDIGTKRITIKGlaube ohne Kirche

■ Gedanken zum Thema »Ostergeheimnisse« aus der St.-Hedwigs-Kathedrale

Unter den Linden und trotzdem in der prallen Sonne schleppt einer ein massives, übermannsgroßes Holzkreuz auf dem Buckel. Der Schweiß läuft ihm in Strömen übers Gesicht, dann muß er das Kreuz absetzen — direkt vor einer CDU- Wahlkampfreklame. Der Kreuzträger ist einer von angeblich 50.000, die am Sonnabend für Jesus marschierten, der, wie ein mitgeführtes Plakat sagte, die deutsche Wiedervereinigung erst möglich gemacht hat.

Die christlichen Themen liegen — wie man sieht — auf der Straße. Doch was bleibt davon ein paar Meter entfernt, bei der Vorabendmesse in der St.-Hedwigs-Kathedrale, noch übrig? »Die Kirche predigt an den Gläubigen vorbei«, habe ich diese Woche von einer Pfarrerin, einer evangelischen, versteht sich, gelesen. Aber die Kirche ist sogar voller als sonst, nur haben die Gläubigen statt der Gebetbücher Fotoapparate in der Hand, und auf manchem T-Shirt in den Bänken prangt noch das Jesus- Marsch-Signet.

Von solchen populistischen Aufmärschen, die noch dazu von Frei-Gläubigen veranstaltet werden, läßt sich der Geistliche am Altar nicht aus dem Konzept bringen, und darin hieß es: Ostergeheimnis. Was verbirgt sich — um Himmels willen — dahinter?

Jedenfalls kein Überraschungsei, sondern die Liebe zu Gott: Können wir heute Jesus wirklich lieben? Viele Menschen, mehr als man annehme, stellten sich heute die Frage nach dem Sinn des Lebens und damit auch nach dem Glauben. Aber ist das auch die Kirche? — fragt der Geistliche, wohl eher rhetorisch, doch ist auch schon bis zu seinen Ohren durchgedrungen, daß es an der Kirche als Institution Kritik hagelt. Da behaupte noch jemand, die Kirche predige an den Gläubigen vorbei, denn hier werden jetzt ja die Probleme beim Namen genannt.

Daß die Kirche eine Institution sei, werde von dieser gar nicht bestritten, sei aber relativ zu sehen und von daher gar nicht so tragisch, denn: Ist nicht jeder Mensch auch eine kleine Institution, da jeder sein eigenes Leben vertreten müsse? Das habe ihm die Gesellschaft im Sozialismus abnehmen wollen, davon geblieben sei nur das ewig währende Dichterwort, daß die Kirche die einzige menschliche Einrichtung sei, hinter der nicht das Nichts stehe. Schließlich gehe es darum, daß der Mensch nicht einfach verschwinde, sondern an sein Ziel komme — nämlich das ewige Leben von Angesicht zu Angesicht. Zwar brauche der Mensch noch Sonne und Mond zum Leben, aber unter uns leuchte nichtsdestotrotz schon die Herrlichkeit Gottes.

Ab und an wird sie getrübt: Wenn beispielsweise Beispiel eine Frau ihrem Mann sagt, sie könne auch ohne Kirche an Gott glauben. Der Glaube aber, so der Geistliche weiter, sei keine isolierte Wirklichkeit, sondern der entfalte sich in der Kirche, womit klargestellt wäre, daß der Glaube ohne Kirche nur die Hälfte wert ist. Anders gesagt: Der Glaube braucht die Kirche wie der Mensch Mond und Sonne, womit sich die Kritik an der Institution Kirche erübrigt. Noch dazu die von mir zitierte Pfarrerin widerlegt ist: Bei den Katholiken wird nicht an den Gläubigen vorbei gepredigt, sie werden auf den rechten Weg gepredigt.

Doch damit ist es dem Geistlichen nicht genug: In vierzig Jahren Sozialismus hat er gelernt, daß der Gegner immer noch einen Dolch im Gewande führt: Die Kritik an der Institution Kirche sei nur vordergründig, dahinter stehe vielmehr Grundsätzliches: Alles soll angezweifelt werden, selbst die Auferstehung Christi. Das kann kein wahrer Katholik wollen, also darf er auch keine Kritik wollen. Bloß kommt mir diese Art der Argumentation verdammt bekannt vor — und bestimmt nicht aus der Kirche. Lutz Ehrlich

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