: Verletzungen auf beiden Seiten
■ Die Regisseurin Ruth Berghaus nach der Vorstellung von »Im Dickicht der Städte«
Daß das Berliner Publikum mit dieser Aufführung seine liebe Mühe haben würde, mutmaßte schon das 'Theatertreffen-Magazin‘. Bertolt Brechts frühes Stück trägt in sich den Widerwillen, plan konsumiert zu werden, und gibt sich zudem so offensiv verklausuliert, daß manch findiger Spürsinn im Dunklen irritiert verkümmert. Rationalität nimmt diese Hürde schlecht.
Wenn die genialen Wucherungen des jungen Brecht auf den »mitleidlosen Medusenblick« von Ruth Berghaus treffen, sind die Barren von vornherein erheblich nach oben verlegt. Das Berliner Publikum gebärdet sich anläßlich des hochartifiziellen Parcours, der aus dem Thalia Theater Hamburg nach Berlin transferiert wurde, durchaus störrisch, äußert Unmut schon im Saal, lacht an den berühmten Stellen, die unfreiwillig auf die Situation der Zusammenkunft sich übertragen lassen (»Da muß einer schon viel Humor mitbringen« etc.), und bleibt nach der Pause zuhauf fort; der erste Abend des diesjährigen Theatertreffens, der in Buhrufen endet, die mit der an dieser Stelle typischen Differenziertheit nicht die Schauspieler, sondern allein die Regisseuse treffen.
Die Zuschauer, welche geblieben und zur anschließenden Diskussion ins Foyer gepilgert sind, tragen die Verletztheit des ansonsten Erfolg gewöhnten Pferdes in sich, das die allzu hohe Hürde nicht nahm und nun zwischen Hochmut und lähmender Scham unruhig stampft; basses Erstaunen wechselt mit aggressiver Explosion. Alle Mühe hat der Moderator, das Schwierige des Abends zum fruchtbaren Kern des Diskussion zu machen, und rettet sich in leis-ironisches Gebrabbel (»Möchte noch jemand sein Regiekonzept vorstellen?«).
Ruth Berghaus, durchaus nicht zum erstenmal mit Angriff und Aggression aus Unverständnis gegenüber ihrer Arbeit bedroht, sitzt da wie ein verletzter Pfau, der den Körper zur Salzsäule verstählt, auf daß der Unmut auf den Aggressor zurückkehre. Bei aller zur Show gestellten Herablassung und Kühle wirkt diese Frau empfindlich, und ihr psychologischer Spürsinn versagt, wo harscher Angriff statthat. Das Bedrückende der Aufführung, ihre widerstrebende Bereitschaft zur Auskunft zerfasern auch die Diskussion und vertiefen die Gräben eher, als daß erläuternde Worte die Lücke füllten. Auffällig, daß auch die lobenden Stimmen sich zu ihrer Kennerschaft fast nur entschuldigend bekannten.
Der Formalismus, der durch die exzessive Sprache toben durfte, wurde zum Hauptangriffspunkt. Immerhin verwies uns der Moderator darauf, daß gerade in der Künstlichkeit der Sprache ein Grund der Einladung dieser Inszenierung zu finden sei:
Also, gesetzt den Fall, hier wäre natürlich gesprochen worden, wäre die Aufführung ganz sicher nicht im Theatertreffen. Stadttheater haben wir ja nun reichlich — ich spreche dabei auch von Berlin. Die Sprache — sowohl auf der Bühne wie auch später im Foyer — genügte zur Verständigung nicht.
Abrupt klang der Abend aus, und ein tiefer Seufzer blieb allgemein wie unbefriedigt hängen:
Berghaus: Dazu ist, glaube ich, auch ein Kunstwerk da, daß wir darüber hinaus weiterdenken und dann vielleicht auf unsere alltäglichen Probleme kommen — und seien es die Wohnungsprobleme.
Moderator: Tja, meine Damen und Herren, es geht auf Mitternacht... baal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen