: Jusos wollen SPD verjüngen
Juso-Bundeskongreß: Entideologisierter Jugendverband plädiert für die Parteireform ■ Aus Wolfenbüttel J. Voges
Der Beifall war heftig und langandauernd, aber nicht mehr rythmisch, denn solchen hatte sich der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Wolfgang Thierse schon zu Beginn seiner Rede vor dem Juso-Bundeskongreß in Wolfenbüttel verbeten: Der Rythmus erinnere ihn an DDR- Parteitage. Über die „SPD 2000“ sprach Thierse auf dem Kongreß der SPD-Mitglieder unter fünfunddreißig Jahren, zitierte eine unveröffentlichte Sinus-Studie, die die rapide anwachsende Parteienverdrossenheit einmal mehr eindrucksvoll bestätigte, und verlangte dann eine Verjüngung und die Demokratisierung der SPD sowie die Öffnung der Partei für Nichtmitglieder. Den Konsens zwischen Jugendorganisation und dem Vertreter des Parteivorstands konstatierte danach der 31jährige Juso-Bundesvorsitzende und Doktor der Physik, Ralf Ludwig. In Sachen Parteireform sei die Juso-Position da von der des Stellvertretenden Vorsitzenden „nicht weit entfernt“. Über Öffnung für Nicht-Parteimitglieder bestehe weitgehend Einigkeit, auch wenn die neuen Juso- Richtlinien, die gerade dies vorsahen, nun aus Zeitmangel nicht mehr behandelt werden könnten.
Gerade zuvor war die neue hauptamtliche Juso-Bundessekretärin, Carola Parniske-Kunz, die in ihrer Kandidatenrede gerade jene Öffnung und eine verstärkte Zielgruppenarbeit unter Schülern und jungen Frauen forderte, im ersten Wahlgang durchgefallen. Sowohl der Bundesvorsitzende als auch die Bundessekräterin sind über das „Reformsozialistische Spektrum“, um die Zietschrift 'Sozialistische Praxis‘ in die Führung der Jugendorganisation gelangt. Allerdings sagt die neue Bundesekretärin, daß die verschiedenen Strömungen heute „nicht mehr das Thema des Verbandes“ seien. Die „ideologische Auseinandersetzung“ habe innerhalb der Jusos ihre zentrale Bedeutung von einst verloren. Nach Auffassung von Ralf Ludwig haben die Konflikte mit der Mutterpartei abgenommen, weil in vielen Bereichen einstige Juso-Positionen inzwischen Beschlußlage der Gesamtpartei geworden wären. Falls die SPD jedoch das Asylgrundrecht antaste, würden die Jusos „ihr Verhältnis zur SPD neu überdenken“. Ludwig mahnte auch an, die SPD müsse Programmpartei bleiben, „die sich immer wieder neue Ziele“ steckt.
Das gilt wohl auch für den Jugendverband. Knapp 160.000 Jungsozialisten, davon nur etwa 4.000 in den neuen Bundesländern, gibt es derzeit (noch) in der SPD — die Zahl der Jusos hat von einmal 306.000 im Jahre 1974 beinahe von Jahr zu Jahr kontinuierlich abgenommen. Wolgang Thierse sprach auf dem Kongreß von einem bei den SPD-Mitgliedern neuerlichen Bedürfnis nach Theorie und Bildung. Die heute so realistische Jusospitze kann diese Bedürfnisse nicht mehr erfüllen und die Juso-Basis quittierte die Langeweile mit diffuser Verweigerung: Auch die neue gewählte stellvertretende Vorsitzende Jadranka Thiel fiel in Wolfenbüttel im ersten Wahlgang erstmal durch.
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