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Tausende unterwegs nach Karabach

■ Über die seit einer Woche geöffnete Straße schaffen Armenier Hilfsmittel in die umkämpfte Enklave/ Aserbaidschanischer Gegenangriff auf Latschin befürchtet/ Plünderer besetzen Häuser

Goris (afp) - Dutzende Lastwagen und Autos blockieren die ersten Kilometer der kurvenreichen Straße, die seit einer Woche wieder Armenien mit der Bergenklave Nagorny Karabach verbindet. Die Straße führt durch das feindliche Gebiet Aserbaidschans.

„Zeigt euren Passierschein“, ruft ein in Schweiß gebadeter Soldat durch das Megaphon. Armenische Soldaten kontrollieren unterdessen die Fahrzeuge an der auf dem Hügel aufgestellten Schranke. Noch vor einer Woche wurde hier heftig gekämpft. „Wir müssen uns beeilen, nach Karabach zu kommen und die Hilfsmittel hinfahren, wer weiß, wie lange die Straße noch passierbar ist“, sagt Gagik. Gagik wohnt in Stepanakert, er sitzt am Steuer seines Wagens, der zum Bersten voll mit Kindern und Gepäck ist. In sechs Tagen fuhren Tausende von Armeniern über die Straße von Eriwan nach Stepanakert, der Hauptstadt der Enklave mit vorwiegend armenischer Bevölkerung. Jahrelang war die Stadt isoliert. In den ersten Tagen nach Öffnung des Korridors von Armenien nach Karabach kamen Hunderte von Plünderern aus der Region von Goris, sie nutzten das Chaos und fielen in den aserbaidschanischen Ort Latschin ein. In dem im freigekämpften Korridor liegenden Ort drangen sie in die von den geflohenen Einwohnern verlassenen Häuser ein, berichteten Augenzeugen. „Die sind bereit, ihr Leben für eine Matratze aufs Spiel zu setzen“, sagt ein junger Soldat verächtlich, der die aus Aserbaidschan kommenden Wagen kontrolliert. Inzwischen haben die Behörden die Straße gesperrt, trotz des täglichen Hin und Hers von Lastwagen und Autos am Rande der Front. Es gibt einen „kleinen Aufstand“ am Kontrollposten, denn jetzt dürfen nur noch Hilfstransporte und Inhaber eines Ausweises von Nagorny Karabach die Straße befahren.

Die Lage in der Region bleibt gespannt, die Armenier haben mit der Region Latschin ein strategisch wichtiges Gebiet erobert und rechnen jeden Tag mit einem aserbaidschanischen Gegenangriff. Immer wieder werden Guerilla-Überfälle von beiden Seiten entlang der Grenze gemeldet. Am Samstag verließen armenische Soldaten Goris und fuhren nach Stepanakert. „Wir werden die Umgebung von Latschin verstärken“, erklärt lachend ein junger Freiwilliger.

Die Aserbaidschaner hätten Latschin widerstandslos aufgegeben, bezeugen einige. Gleichzeitig geben Dutzende junger Kämpfer aus der Region von Goris zu, ihren „Brüdern in Karabach bei diesem entscheidenden Sieg geholfen zu haben“. Offiziell dementiert Armenien den Einsatz eigener Truppen in Aserbaidschan und bekräftigt, daß an der Eroberung Latschins nur Soldaten aus Karabach und kurdische Kämpfer der Region teilgenommen hätten. Nach Augenzeugenberichten sollen die Kurden die Armenier bei der Eroberung aber nur passiv unterstützt haben, laut Eriwan verlangen sie nun die Gründung eines autonomen Gebietes.

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