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Intime Dekorationen

■ Edouard Vuillard: Interieurs et Paysages de Paris bei Wolfgang Werner

Der französische Maler Edouard Vuillard (1868-1940) ist in Deutschland kaum bekannt. Eine größere Ausstellung über sein Werk war zuletzt 1968 im Haus der Kunst in München zu sehen. Vor dem Ersten Weltkrieg war er auf Ausstellungen der Berliner Secession immerhin fünfmal vertreten. Aufgrund der ehemaligen Berliner Verbindung ist jetzt im Kunsthandel Wolfgang Werner eine kleine Verkaufsausstellung zustande gekommen, die vor allem Werke aus Pariser Privatbesitz zeigt, und das in erstaunlicher Qualität.

Edouard Vuillard begann 1888 das Kunststudium an der Pariser Académie Julian zusammen mit den hier bekannteren Malern Maurice Denis und Piere Bonnard, mit denen er auch ein gemeinsames Atelier teilte. Mit Paul Sérusier gehörten die drei 1889 zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergruppe Nabis. Ihre Malerei war im Gegensatz zum vorausgehenden Impressionismus antinaturalistisch und symbolistisch ausgerichtet. Die Fläche, das Ornament, die Arabeske stand im Vordergrund. Es ging nicht mehr darum, den »naturalistischen« Eindruck, den das Auge empfängt, im Bild wiederzugeben, sondern dessen zeichenhaftes und gefühlsmäßiges Äquivalent. Um die »wirkliche« Wirklichkeit dessen, was die Sinne nur eingeschränkt vermitteln können, wiederzugeben, waren andere, mehr experimentelle bildnerische Mittel vonnöten, als sie der Impressionismus oder auch der Naturalismus bislang bereitgestellt hatten. Wichtiger Anreger für eine solche »andere« Darstellungsweise war zur damaligen Zeit die japanische Kunst, die in ihrer flächenhaften Gestaltung des Bildraumes eine Alternative zur perspektivischen Malerei anzubieten vermochte, und an die die Nabis anknüpften.

Die Entwicklung Edouard Vuillards von einer postimpressionistischen, piontillistischen Malweise zur auf den »Japonismus« reagierenden Malerei der Nabis und seine anschließende Rückwendung zum Impressionismus ist in der Ausstellung in der Kunsthandlung Werner, die Werke aus der Zeit von 1890-1930 zeigt, sehr gut nachvollziehbar. In den Skizzen Femme et enfants und La sieste ou la convalescence und vor allem im Ölbild Madame Vuillard au chiffonier von 1893 ist der Nabis-Stil bereits typisch ausgeprägt. Der Bildraum bleibt durch eine klare horizontale und vertikale Gliederung des Bildes zwar räumlich interpretierbar, seine Tiefenstruktur ist jedoch unbestimmt. Durch das Mittel der Ornamentalisierung der Zeichnung werden Mensch und Umgebung bildnerisch gleich behandelt, eine Hierarchie gibt es nicht. Im kleinen Ölbild Trois femmes sur la terrasse au bord de la mer à Vasouy von 1901, das vom Duktus her ganz einer japanischen Tuschzeichnung ähnelt, werden die drei dargestellten Frauen vollends zur Arabeske.

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch auf großformatigen Gemälden und Pastellen aus der Zeit um 1910-1925, einer Werkphase, in der sich Edouard Vuillard zum impressionistischen Stil zurückwendet. Beide Werkkomponenten, für die Vuillard berühmt ist, sind in der Ausstellung vertreten, sowohl seine Pariser Stadtbilder als auch seine intimistischen Interieurs. Die meisten der ausgestellten Pastelle gibt es anderenorts in weiteren, detaillierter ausgeführten Fassungen, jedoch ist gerade die Flüchtigkeit der hier ausgestellten Zeichnungen von großem Reiz.

Zwei hochformatige 196 x 69 cm große, als Teil einer Wanddekoration geplante Bilder aus den Jahren 1909/1910 zeigen den »Place Vintimille«, an dem Vuillard von 1908 bis zu seinem Tod 1940 wohnte (heute Place Adolphe Max, nahe dem Place Clichy). Diesen Platz, auf den Vuillard von seinem Atelierfenster aus sah, hat er in zahlreichen Bildern und Zeichnungen festgehalten. Ein weiteres querformatiges Pastell beinahe gleicher Größe gibt den Platz aus der Fußgängerperspektive wieder. In der Auflösung der Gegenstandsformen in zarte Grün- und Türkisflecken, die mit dem braunen Hintergrund kontrastieren, erinnert es an die Seerosenbilder Claude Monets. Großstadtdynamik entfaltet dagegen das Bild der Metrostation »Villiers« von 1915/1916, das in seinen hart gegeneinander gesetzten Rot-Grün-Flächen und Weißhöhungen fast expressionistisch wirkt.

Zwei Pastelle, das 140 x 180 cm große Les tasses noires von 1925, das die Pianistin Misia Sert mit ihrer Nichte Mimi in der großzügigen Weite ihres Pariser Appartements zeigt, sowie Le cadre ovale von 1909, das die Schauspielerin Marthe Mellot mit ihrer Tochter darstellt, zeigen als typische Interieurs, warum Vuillard als »Intimist« bezeichnet wird. Der skizzenhafte Zeichenstil und das weiche Geflimmer der Farbgebung verleihen der dargestellten Alltagssituation eine Intimität und Stimmung des Wunderbaren.

Bereits die Titel der Pastellzeichnungen lenken den Blick von den Personen weg auf die Gegenstände hin, die sie umgeben. Die Porträtierten erscheinen, eingebunden in den Zusammenhang der Dinge, nicht als handelnde Personen, sondern in Harmonie mit ihrer selbstgewählten Umgebung. Es sind Bilder jenseits der Auseinandersetzung mit der Außenwelt. Bilder des privaten Glücks in den eigenen vier Wänden, Bilder des Einverständnisses mit sich und dem Dasein. Ein wesentliches Moment ist die Skizzenhaftigkeit ihrer Ausführung, damit sie zu solchen Inkunabeln fast schon biedermeierlichen Glückes zu werden vermögen. Naturalistisch zu Ende geführt, würden sie eine glatte Fassade bilden, hinter die man schauen könnte. So erliegt man ihrem schönen Schein. Werner Köhler

Noch bis zum 30. Mai, Montag bis Freitag von 10-13 Uhr und 15-18 Uhr, Samstag von 10-13 Uhr. Kunsthandel Wolfgang Werner KG, Fasanenstraße 72, Charlottenburg

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