piwik no script img

Schlechter Kompromiß

■ betr.: "Verrat an den Frauen" von Alice Schwarzer, taz vom 14.5.92

betr.: „Verrat an den Frauen“ von Alice Schwarzer, taz vom 14.5.92

Alice Schwarzer wettert, was das Zeug hält — gegen Feministinnen, die anderer Meinung sind als sie. [...] Leider gehen bei solchen Tönen ganz wichtige Inhalte den Bach runter. Der neue Vorschlag ist ein verdammt schlechter Kompromiß, und er garantiert keineswegs das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, wie Alice Schwarzer zweckoptimistisch und brillenrosagefärbt schreibt.

Abtreibung soll — nach 21jährigem Kampf der neuen Frauenbewegung dagegen, bei dem sich Alice Schwarzer unzweifelhaft Verdienste erworben hat — weiterhin grundsätzlich eine Straftat bleiben. Frauen sollen eine „verantwortungsbewußte, eigene Gewissensentscheidung“ treffen, nachdem wir uns vorher vatikangemäß in der Zwangsberatung über den „hohen Wert des vorgeburtlichen Lebens“ und die „Rechtsansprüche von Mutter und Kind“ in einer „aufgrund Gesetz anerkannten Beratungsstelle“ haben indoktrinieren lassen (alle Zitate aus dem neuen Entwurf).

Alice Schwarzer analysiert nicht diese fatale, indoktrinative Pseudoberatung als zentrales Mittel der Frauenunterdrückung; sie spielt sie als eigentlich nur „formale Entmündigung“ herunter. Es erscheint uns äußerst bescheiden, die Entscheidungsmöglichkeiten von Frauen über ihre ungewollten Schwangerschaften innerhalb einer zu kurzen, willkürlich gesetzten Zwölfwochenfrist nach vorangegangener Zwangsberatung als etwas Positives darzustellen. Über die durch eine solche Regelung besonders verarschten Ost-Frauen verliert Alice Schwarzer keine Silbe, sie setzt sogar noch eins drauf, indem sie deren Vertreterinnen im Parlament, Christina Schenk und Petra Bläss, auf üble Weise diffamiert.

Solche Beiträge, wie die von Alice Schwarzer, helfen mit, die uralten Forderungen von Feministinnen in der öffentlichen Diskussion unsichtbar zu machen. Es ist eine fatale Variante deutschen vorauseilenden Gehorsams, aus taktischen Gründen nicht mehr das zu fordern, was ein völlig banales Frauenmenschenrecht ist, nämlich Abtreibungs- und Gebärfreiheit.

Wer, wenn nicht Feministinnen, soll offensiv dafür streiten und so auf die Politikerinnen Druck ausüben — warum sollten die denn noch für alte Selbstbestimmungsforderungen eintreten, wenn schon exponierte Persönlichkeiten der Frauenszene beginnen, Selbstbestimmung defensiv umzudefinieren, wie Alice Schwarzer es tut? [...] Conny Hühn, Lisa Müller, Feministisches Frauengesundheitszentrum, Frankfurt am Main

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen