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Wiedervereinigung auf moldovanisch

In Moldova wachsen die Forderungen nach Wiedervereinigung mit Rumänien/ Aus dem „Konflikt“ um die Dnjestr-Republik droht ein offener Krieg zu werden/ Präsident Snegur ordnet Mobilmachung an  ■ Von Keno Verseck

Chișinau (taz) — „Gebt uns Waffen! Wir wollen die russischen Verbrecher endlich wegfegen! Wiedervereinigung!“ Auf dem zentralen Platz vor dem Regierungsgebäude Moldovas haben sich ein paar hundert Menschen versammelt, den Verkehr vollständig lahmgelegt und diskutieren lautstark die neuesten Ereignisse an der Dnjestr-Front. Die wenigen Ordnungshüter schauen gelassen zu und greifen auch nicht ein, als eine Gruppe vor den Regierungseingang zieht. Ein rumänischer Polizist, der an Mütze und Kragen noch Insignien des auseinandergebrochenen Sowjetreiches trägt, begrüßt den deutschen Berichterstatter enthusiastisch— auf russisch: „Ihr Deutschen habt euch doch auch wiedervereinigt. Ihr könnt uns bestimmt verstehen!“

Unsichtbarer Organisator des Happenings ist die Christlich-Demokratische Volksfront (FPCD), eine der größten politischen Gruppierungen, die unter den viereinhalb Millionen Moldovanern schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Anhänger hat. Im Hauptquartier der rechtsnationalistischen FPCD hängt bereits die Karte des neuen Rumäniens. FPCD-Vizepräsident Iurie Rosça schiebt es dem „mangelnden Nationalgefühl der Regierung“ zu, daß Rumänien und Moldova noch nicht vereinigt sind. „Wir können der gegenwärtigen Meinung der Bevölkerungsmehrheit nicht zustimmen und versuchen sie von der Richtigkeit unserer Position zu überzeugen.“

Seit gestern ist aus dem Transnistrien-Konflikt auch offiziell ein neuer Krieg zwischen zwei ehemaligen Sowjetrepubliken geworden: Der Präsident Moldovas, Mircea Snegur, ordnete die Gereralmobilmachung für alle Moldovaner zwischen 18 und 45 Jahren an. Bereits wenige Tage zuvor hatte die russische Armeeführung bestätigt, daß sie begonnen habe, in die Kämpfe einzugreifen. Mindestens 75 Menschenleben und etwa 280 Verletzte haben die Auseinandersetzungen seit etwa zehn Tagen gefordert, unter ihnen waren vor allem Zivilisten.

Und so spricht das moldovanische Fernsehen von einem Genozid und berichtet zweisprachig über staatlich organisierte Protestkundgebungen, die im ganzen Land gegen die russischen Militärs und die „prokommunistischen Führer der sogenannten Transnistrien-Republik“ stattfinden. Snegur nennt die Ereignisse eine „proimperiale Okkupation“ und forderte die russische Regierung zu einer Stellungnahme und dem sofortigen Abzug der Truppen auf.

„Jetzt hat die wirkliche Destabilisierung begonnen“, meint Viorel Ciubotaru, außenpolitischer Sekretär der kleinen sozialdemokratischen Partei Moldovas. Das Transnistrien- Problem stehe am Anfang einer Kettenreaktion in ganz Zentral- und Südosteuropa, sagt er. Da Moldova sich einen militärischen Konflikt ökonomisch auf Dauer nicht leisten könne, sei es möglicherweise zu einer schnellen Vereinigung mit Rumänien gezwungen und müsse Transnistrien dabei vielleicht aufgeben. Hinzu kommt, daß Rumänien sich nicht gerade diplomatisch verhält. Präsident Ion Iliescu, der vor einigen Tagen auf Staatsbesuch in Moldova weilte, erklärte schon vor Wochen, daß sein Land bereit sei, die „Brüder jenseits des Pruth“ mit allen Mitteln zu unterstützen. Und während das Bukarester Fernsehen derzeit pathetisch-nationale Filme über den tragischen Kampf der Moldovaner um Unabhängigkeit von den Russen sendet, forderte das rumänische Parlament die Regierung auf, einen Ausweg aus der Krise zu finden und Moldova zu helfen. Ebenso offen bleibt für Ciubotaru, wie die moldovanische Regierung den Konflikt zu lösen gedenkt. Man dürfe zwar nicht vergessen, daß in Tiraspol finsterste prosowjetische Führer herrschten. Die Regierung benutze den Konflikt aber dazu, die Schuld an der ökonomischen Misere einem äußeren Feind zuzuschieben und transparente Wirtschaftsreformen zu verzögern. Von der offenbar verbreiteten Abneigung gegen die Gagausen abgesehen, mutet es überraschend an, daß Moldovaner, Russen und Ukrainer auf der linken Seite der Dnjestr bis jetzt noch ohne Haß aufeinander auskommen. In Chișinau, wo slawische und rumänische Bevölkerung je zur Hälfte vertreten sind, scheint den meisten klar zu sein, daß es sich weniger um einen ethnischen, sondern mehr um einen politischen Konflikt handelt. Doch die Situation könnte auch hier bald eskalieren. Die Worte eines Parlamentariers geben einen Vorgeschmack: „Rußland will ein zivilisiertes Land sein, aber das ist ihm nicht gelungen. Rußland hat die Russophobie in allen früheren Republiken vorangetrieben, und nur russische Politiker sind verantwortlich für das, was hier geschieht.“

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