: Naturgeschichten
■ Simone Mangos in der Galerie Gebauer & Günther
Wie in der Natur so auch in der Kunst: Das herrliche Panorama der Bucht von Capri bleibt unvergeßlich, die Hotelangestellten nicht. Das Lächeln der Mona Lisa hat sich eingeprägt, die Fettecke ist schon längst verdorben. Das Bild bleibt bestehen, während Raum und Zeit verschwinden. Da helfen auch Fotos nicht weiter. Meistens kommt man lieber einmal wieder dorthin zurück, sucht die alte Aus- oder Ansicht auf und richtet den Blick auf das gleiche.
Nomadic bezeichnet Simone Mangos nicht nur die von ihr ausgestellte Arbeit, sondern gibt dabei auch ihr künstlerisches Selbstverständnis preis. Die Installation ist nur auf das Nötigste beschränkt. Knapp vier Dutzend Fensterscheiben, Fundstücke aus der näheren Umgebung, ergeben die Rundung eines gespannten Bogens, der den gesamten Galerieraum durchmißt. An den Enden schließen die Scheiben mit den wirklichen Fenstern der Fabriketage in der Pfuelstraße ab: das Material ist Träger einer Geschichte, die sich in der Topographie der Umgebung orten läßt.
Die Fenster aus dem hinteren Teil Kreuzbergs sind Indizes für verfallendes Wohnen. Durch manche ist ein Stein geflogen, andere haben einen Zimmerbrand überstanden; die meisten sind beim Renovieren ganz einfach herausgeschlagen worden. Später ist die Miete gestiegen, bis die Mieter wieder in ein Heim mit alten Fenstern ziehen mußten. Der Fortschritt des Wohlstands dreht sich im Kreis und nimmt bedrohliche Formen an. Seltsam, wenn sich trotzdem Zerbrechliches auf dem Müll oder unter dem Gerümpel im Keller findet. Kaum eine Scheibe ist beschädigt. Die Fenster sind gerahmte Gläser, die Simone Mangos zusammengesammelt hat, um eine Geschichte vom Sammeln zu erzählen, wo andere Künstler ständig mit den antiquierten Mitteln anderer Künstler großspurig auf die Vergangenheit zeigen und zwischen Selbstreferenz und Zitierwut unruhig im Betrieb pendeln.
Die Fensterscheiben hingegen sind keine Schmuckstücke einer überstandenen Moderne. Sie sind Mangos' Abbilder der erinnerten Erfahrung. Die seit vier Jahren in Berlin lebende Künstlerin hat die Installation aus ihrem direkten Umfeld genommen, und die Erinnerungsspur in die Galerie verlegt. Die aktuelle Entwicklung im Scheunenviertel nimmt demgegenüber die Form der Realsatire an. Keine der dort auffindbaren Ruinen, in die nicht irgendein Künstler seine betroffen-faszinierte Handschrift gebettet hätte.
Mangos reagiert auf die Exhumierung des Vergangenen mit fruchtbarem Austausch auf minimalem Wege. Schon 1988 hatte sie in Sidney an einer Ausstellung mit dem paradigmatischen Titel Amnesias Reservoires teilgenommen, in der sich zwischen Nomaden des Medienzeitalters und dem Memorieren der Moderne eine Brücke schlagen ließ. Proust fand dafür einen Satz, der sich auch auf einen Katalogumschlag von Simone Mangos findet: »Wenn Gott, der Vater, Dinge schaffen konnte, indem er sie benannte, dann liegt es in der Wiederbenennung oder darin, neue Namen zu vergeben, daß der Künstler es ihm gleichtut.« Weit davon entfernt, sich an dem Zeichencharakter der Symbole zu versuchen, entwirft Mangos eine Welt exponierter Zeitlichkeit, über die sie als Material verfügt. Die Zeit erscheint wie Natur, bildlos. Die Scheiben überlassen die Sichtbarkeit dem einfallenden Lichtschein, den Mangos auch in der Installation situativ mit einfängt. Licht fällt als Schatten der Fensterrahmen auf die Wände und zeichnet selbst wiederum ein Netz aus Brechungen an die Wand. Zu einem bestimmten Zeitpunkt nehmen die Schatten die gleiche Halbkreisform an, die Mangos konstruiert hat. Die Natur spielt, die Künstlerin nicht. Sie macht es deutlich. Harald Fricke
Noch bis zum 30. Mai in der Galerie Gebauer & Günther
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