Die Filz-Philosophen boomen

■ Boris Becker bekommt Konkurrenz, was das Verbreiten von Weisheiten betrifft: Nach Steffi Graf profiliert sich bei den French Open der Einser-Schüler Markus Naewie mit Worten zur Lage der Nation

Berlin (dpa/taz) — Boris Becker muß sich echte Sorgen machen um seinen Spitzenplatz in der Tennisphilosophen-Weltrangliste. Gestern erst stülpte Steffi Graf medienwirksam ihr Innenleben nach außen und erzählte freimütig, wie schwer es ihr fällt, ihren Ehrgeiz ein wenig zu zügeln und lockerer zu werden. „Im Grunde genommen mache ich mich damit selbst kaputt“, urteilte die 22jährige. Da müsse sich was ändern, genauso wie an ihrem Körper: „Ich mag meine Muskeln nicht“, überraschte Steffi Graf alle Fans ihrer wunderschönen Beine und hofft, nach Ende ihrer Karriere besonders die Muckis an den Oberschenkeln loszuwerden.

Doch nicht nur das Grafsche Coming-out gefährdet den Status Boris Beckers als Verbreiter bleibender Worte. Ein internationales Tennis- Greenhorn wagt es, Bedeutsames zu sprechen. Und das, obgleich dieser Anfänger noch nie den heiligen Rasen von Wimbledon betreten hat, was als unbedingte Eingangsvoraussetzung angesehen werden muß, um sich zu Dingen des Weltgeschehens zu äußern.

Allein, den Musterschüler Markus Naewie juckt der Tennisknigge wenig. Unbeschwert fordert der lange Kerl, der auch perfekt Spanisch und Französisch spricht, die ungläubige Journaille mit klugen Sätzen. Dabei begann alles ganz harmlos: Artig zeigte er sich nach der gelungenen Dreisatz-Premiere gegen Jason Stoltenberg zunächst tief beeindruckt von seinem ersten Grand-Slam-Turnier: „Alles ist sehr, sehr hektisch. Alles ist sehr, sehr groß.“ Doch schon schreitet der Mann mit dem 1,0-Abitur zur Werbung in eigener Sache: „Wer auf den unteren Stufen der Karriereleiter steht, ist glücklich über Publizität.“

In Wahrheit jedoch seien ihm so profane Dinge wie Tennis ein bißchen zu unwichtig, um lang darüber zu parlieren. Denn, wir wissen es ja schon von Boris, es gibt Wichtigeres im Leben. So teilt Naewie, während er sich noch den Schweiß vom Körper wischt, uns seine Meinung mit zur Magnetschwebebahn „Transrapid“, zum umstrittenen „Jäger 90“, zu Börsenspekulationen oder zum „Porsche 959“. Auch Umweltschutz gehört ins Repertoire des 22jährigen: „Von Düsseldorf nach Frankfurt zu fliegen ist Quatsch!“

Mit solchen Themen kann Naewie („Ich will immer das Beste aus dem machen, was ich gerade tu'“) bei seinen Kollegen nur selten landen: „Über Politik kann ich mich mit vielen Tennisspielern nicht unterhalten.“ Das ist manchmal sein Problem, denn für ihn sind „Philosophie, Politik, Forschung und Entwicklung“ schlicht wichtig. Bei den Bayern Open verblüffte er, als er sich mit dem dicken Sammelwerk zur Geschichte der Philosophie erholte und den Journalisten verkündete: „Danach schau' ich mir Karl Popper an.“

Obgleich etliche Journalisten sich sofort auf die Suche nach dem Court machten, auf dem dieser ominöse Popper wohl spielt, glaubt der Weltranglistenachtzigste, er „passe da schon rein in den Tennis-Zirkus“. Respekt vor den großen Namen hat der Brillenträger zumindest nicht. Auch auf der riesigen Roland-Garros-Anlage im Bois de Bologne hat er sich schnell Ansehen verschafft. „Man muß um den Trainingsplatz kämpfen“, erzählte er.

Was ihm wenig schwerfällt, denn der geborene Bremer, der später Betriebswirtschaftslehre studieren will, hat trotz aller Vernunft ein Faible für das Risiko. Das Geld, das er beim Tennis verdient, braucht er für seine Börsenspekulationen — der erste Tennis-Yuppie. Zehn Prozent, so sagt er, legt er immer in Aktien an. Genug läßt sich damit verdienen, um seinen Trainer Karl Meiler, einen Davis-Cup-Spieler der 70er Jahre , zu entlohnen. Meiler arbeitet gern mit dem sympathischen Streber zusammen: „Markus diskutiert, er streitet nicht. Das ist für den Lernerfolg von großem Vorteil. Wenn er was akzeptiert, führt er es auch bedingungslos durch.“ miß

Herren: Courier - Kroon 7:6 (7:2), 6:4, 6:2; Larsson - Berasategui 6:3, 6:3, 6:2; Prpic - Reneberg 6:0, 7:6 (7:4), 6:4, Pistolesi - Masso 6:0, 5:7, 6:2, 2:6, 6:2; Forget - Mattar 5:7, 6:3, 3:6, 7:6 (7:5), 6:4; Ferreira - Thoms 7:5, 6:2, 7:6 (7:4), Ivanisevic - Youl 6:7 (6:8), 6:3, 6:2, 6:1, Lendl - Bruguera 6:4, 6:2, 6:1, Sampras - Rosset (7:5), 4:6, 4:6, 6:3, 6:3, Formberg - Zoecke 6:4, 6:4, 7:5; Markus - Koslowski 7:6 (7:4), 6:3, 6:4, Masur - Eltingh 6:3, 6:3, 6:1; Gomez - Miniussi 6:3, 6:2, 3:6, 6:3; Matsouka - Orsanic 6:1, 6:4, 6:4.

1. Runde, Frauen: Seles - Mothes 6:1, 6:0, Sanchez-Vicario - Oeljeklaus 6:0, 6:2, Frankl - Suire 6:4, 6:3, Wiesner - Labat 6:2, 6:3, Sandra Dopfer - Nathalie Guerree 7:6 (7:3), 1:6, 6:3; Amanda Coetzer - Alexia Dechaume 6:4, 3:6, 6:3; Faber - Cunningham 6:2, 0:6, 6:3; Pierce - Rajchrtova 6:1, 6:1; de Schwardt - Zugasti 6:2, 6:4, Meier - Olivier 6:3, 6:3, Piccolini - Byrne 3:6, 7:6 (7:5), 6:2; Endo - Demongeot 6:1, 6:2; Appelmans - Whitlinger 6:4, 6:3; Briuchowets - Boogert 6:1, 6:2; Kidowaki - Keller 6:1, 6:2; Schultz - Rubin 6:2, 5:7, 6:4, Bollegraf - Manjokowa 6:2, 6:3; Stafford - Rinaldi 6:3, 2:6, 6:3; Malejewa-Fragniere - Cioffi 6:4, 7:6 (7:1); van Lottum - Adams 4:6, 6:4, 6:3; Novotna - Graham (USA) 6:3, 6:2.