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GASTKOMMENTARETäter wiegen mehr als Opfer

■ Zu den jüngsten Urteilen gegen rechtsradikale Attentäter

Die gegen die Attentäter in Hünxe verhängten langjährigen Haftstrafen sind atypisch. Die Bilanz der in den zurückliegenden Monaten gefällten Urteile gegen die rechtsradikalen Täter aus Hoyerswerda, Bremen, Frankfurt an der Oder und anderswo ergibt ein anderes Bild: viel Verständnis für die Täter, wenig für die Situation der Opfer. „Es handelt sich um Spontantaten alkoholisierter jugendlicher Einzeltäter, die aufgrund fehlender Freizeitmöglichkeiten und allgemeiner Perspektivlosigkeit zur Gewalt neigen“, lautet eine bis zur Verdummung wiederholte Begründung für die vielen Bewährungsstrafen. Ausgeblendet bleibt dabei die ideologische Unterfütterung der terroristischen Angriffe, die Verbindung zwischen parlamentarisch angeheizter Xenophobie und „jugendlicher“ Opferwahl. Angesichts der eskalierenden rechten Gewalt vollzog die Rechtsprechung eine bemerkenswerte Kehrtwendung. Konstruierte man in den Prozessen wegen Landesfriedensbruch, Haus- und Platzbesetzungen in den siebziger und achtziger Jahren terroristische Vereinigungen und weltweite Verschwörungen, übt man sich heute in individual-psychologisierendem Einfühlungsvermögen selbst dann, wenn die Verbindungen zum organisierten Rechtsextremismus offenliegen. Natürlich steckt hinter dieser „reformierten“ Rechtsprechung gegenüber „jugendlichen Delinquenten“ kein kollektiver Lernprozeß des Richterstandes, sondern deutsche Tradition. Linke und rechte Gewalt wird seit Jahrzehnten mit zweierlei Maß gemessen.

Aber nun aus dem Gefühl der späten Rache von den staatlichen Institutionen ähnlich politisch zweifelhafte Prozesse zu verlangen wie gegen Linke üblich, ist absurd. Auch wenn hinter den Gewaltaktionen antidemokratische und rassistische Motivationen stecken, muß für die Prozesse gegenüber jugendlichen Tätern der Grundsatz aufrechterhalten werden „Erziehen statt strafen“. Dieses von liberalen und demokratischen Kräften seit Jahren gegen sicherheitspolitische Betonköpfe verteidigte Prinzip darf auch dann nicht über Bord geworfen werden, wenn es sich bei den Tätern um den ideologischen Gegner handelt. Die Republik braucht keine Sondergesetze für rassistische Gewalttäter, keine drakonischen Präzidenzurteile und Schauprozesse. Völlig ausreichend wäre die Bereitschaft zur konsequenten strafrechtlichen Verfolgung, aber gerade daran mangelt es vielerorts. Ebenso an der durch kein Gesetzeswerk zu ersetzenden Bereitschaft der Demokraten, die Angriffe der Rechten nicht nur in Sonntagsreden abzuwehren, sondern offensiv auf allen Ebenen des Alltagslebens. Eberhard Seidel-Pielen

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