piwik no script img

„Wir haben ganz andere Probleme“

Im Osten des Landes wird die Diskussion um die Neuregelung des §218 vom Sozialabbau und der Angst um den Arbeitsplatz überdeckt/ Ost-Feministinnen stinkt die westliche Bevormundung  ■ Aus Leipzig Nana Brink

'Emma‘-Herausgeberin Alice Schwarzer sprach von „Verräterinnen“ und meinte die Ost-Feministinnen, die sich weigerten, den SPD/ FDP-Kompromiß zum Paragraphen 218 zu unterschreiben. Die West- CDU steckte ihren weiblichen Ost- Mitgliedern, die sich für einen Fristenregelungskompromiß einsetzen, mit dieser Art von Selbstbestimmung könnten sie in Bonn nicht landen. Der Ost-DGB — westlich geführt — klagt über mangelndes Bewußtsein, wenn es um Aktionen für die ersatzlose Streichung geht. Und einige Männer— beispielsweise vom Bündnis90 im Leipziger Rathaus — empfinden die Diskussion, angesichts der desolaten Lage im Lande, als „einen Nebenkriegsschauplatz“. Die Klischees sind abgesteckt: Während im Westen politische Pragmatikerinnen den kleinsten gemeinsamen Nenner austüfteln, stehen die Ost-Frauen beiseite. Vorwürfe, egal ob sie von der westlichen Feministinnen-Front oder aus eigenen frauenbewegten Reihen kommen, haben Schlagwort- Charakter: Ganz im Sog der allgemeinen Politikverdrossenheit starrt vor allem die jüngere Frauengeneration wie ein Kaninchen auf die Bonner Schlange, nach dem Motto: Die werden sich schon einigen.

„Ich hatte Mühe, mehr als nur die bekannten engagierten Frauen für unsere Aktionen zu finden“, gibt Ruth Stachorra, Gleichstellungsbeauftragte im Leipziger Rathaus, zu. Ende April stellten sich die Leipziger Fraueninitiativen, autonome, gewerkschaftliche wie parteiliche, mit einem Megaphon auf die Straße und sammelten Unterschriften. Fast 10.000 kamen zusammen, aber bei den Diskussionen auf der Straße wurde der resoluten SPDlerin auch klar: „Die Debatte um den Abtreibungsparagraphen ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie ist keine eigenständige Angelegenheit, so wie im Westen, wo von Frauenseite seit 20 Jahren darum gekämpft wird.“ Dabei fiel der Mutter von drei Kindern auf, wie wenig sich gerade junge Frauen für „ihr ureigenstes Interesse“ engagieren. „Ich habe noch am eigenen Leib erfahren, wie das vor der Regelung 1972 bei uns war, ohne Pille und sonstige Verhütungsmittel. Mit welcher Angst wir damals gelebt haben. Daß ist für unsere jungen Frauen heute unvorstellbar.“ Legen sie deshalb die Hände in den Schoß? „Sie schreien vielleicht nicht, aber wir haben ja auch nicht geschrien. Uns wurde das Gesetz geschenkt.“

Edda Möller, Vorsitzende der Leipziger DGB-Stelle und seit zwanzig Jahren in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit aktiv, findet den „Aufschrei in Leipzig schon recht laut“. Auch wenn er bislang nicht zu der gewünschten öffentlichen Solidarisierung unter Frauen geführt hat, und dies, obwohl Frauen von der CDU- Frauenunion wie vom autonomen Frauenhaus „ihr altes Recht“ behalten wollen. Zuerst habe ihr die Einsicht nicht geschmeckt, „daß bei den Frauen in den Betrieben der 218 keine ideologische Frage ist“. Es habe lange gedauert, bis klar war, welche Bedeutung die Klausel der Beratung innerhalb der Fristenlösung hat. „Viele Frauen haben sich bei uns nicht bewußtgemacht, daß plötzlich durch die Hintertür ein West-Gesetz gelten wird, welches ihre Rechte beschneidet.“

Bonn ist weit, und bei einer Frauenarbeitslosenquote von über 65 Prozent in Leipzig sind andere Probleme drängender. Karla Schindler, seit 39 Jahren als Textilarbeiterin in der Leipziger Baumwollspinnerei beschäftigt, hat für das „Gerede um diesen Paragraphen“ kein Verständnis. „Was nützt mir denn da die Freiheit, wenn ich morgen auf der Straße stehe?“ 3.000 Arbeiter — überwiegend Frauen — beschäftigte der einstige und jetzt unter Treuhand-Verwaltung stehende Traditionsbetrieb. Momentan arbeiten noch 400 auf dem riesigen Fabrikgelände in Plagwitz. Die Betriebsrätin, Mutter von vier Kinder — „das fünfte wollte ich dann nicht mehr“ —, gerät in Rage. „Wenn ich das schon höre, von wegen soziale Errungenschaft. Wir haben hier ein Drei-Schicht-System. Jede hat Spät- und Nachtschichten. Unsere Kindertagesstätte wird dichtgemacht.“ Jedesmal, wenn sie mit ihren Frauen über den 218 spricht, geht es bald um anderes: „Wir haben nicht mehr soviel Kraft.“

Ein wenig die Puste ausgegangen ist auch Marion Ziegler, Bündnis- 90-Abgeordnete im Leipziger Stadtparlament. „Eine Handvoll Frauen kriegen wir vielleicht noch hoch.“ Im Rathaus gäbe es zu diesem Thema keine Lobby, „die winken immer nur müde ab, wenn ich damit ankomme“. Selbst in den eigenen Reihen erntet sie entnervte Blicke nach dem Motto: Wir sind uns doch einig, daß wir das alte Recht wollen, also warum darüber reden. Davon abgesehen, stört die streitbare Feministin die immer wieder von West-Seite herangetragene Erwartungshaltung: „Viele Feministinnen im Westen meinen jetzt, wir müßten hier nach zwanzig Jahren das Ruder herumreißen. Mit welcher Power, frage ich mich, und wenn wir dann auf unserer Position — also kein Kompromiß — beharren, werden wir noch als Verräterinnen beschimpft.“ Daß wenige Frauen — auch die intellektuellen — für das Bonner Gerangel Verständnis aufbringen, hat für Birgit Gabriel, Soziologin am Leipziger Institut für Jugendforschung, vor allem jenen Grund: „Viele West-Frauen denken jetzt strategisch. Doch daß es für sie in jedem Fall ein Fortschritt ist, ist für uns nicht wesentlich. Unsere Erfahrung innerhalb dieser Diskussion ist die des Rückschrittes und der wiederholten Bevormundung.“ Selbstkritisch stellt sie im gleichen Atemzug fest: „Frauen lassen sich wieder an den Rand drängen, das hat mit unserer DDR-Sozialisation zu tun.“ Gerade auch an der Leipziger Uni haben Wissenschaftlerinnen das Thema „monatelang schleifenlassen“. Nach den zermürbenden Abwicklungsdiskussionen sei das Vertrauen in „demokratische Spielregeln“ nicht gerade gestärkt worden. „Da bleibt das — sicherlich falsche — Gefühl: Es hat ja keinen Sinn. Fakt ist, daß eigentlich keine für den Paragraphen 218 ist. Die wenigsten haben allerdings ein explizit politisch- strategisches Bewußtsein dafür.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen