: So laßt uns denn eine Kapelle bauen
Mit Gottes Hilfe gegen Gift: In der Nacht zum 1. Mai errichteten mehr als 50 DorfbewohnerInnen im Allgäu eine Protestkapelle gegen eine geplante Giftmülldeponie/ Der Bürgermeister lobt den Widerstandsgeist seiner Schützlinge ■ Von Klaus Wittmann
Inchenhofen (taz) — Als Max H. am 30. April seinen allabendlichen Waldlauf absolvierte und er draußen bei den Spargelfeldern im Roßmoos bei der Weggabelung rechts abbog, war alles noch wie immer. Am nächsten morgen, Max nützte den 1.Mai zu einem Morgenlauf, traute er seinen Augen nicht. Soviel hatte er doch am Abend zuvor gar nicht getrunken. Da, wo sich die beiden Feldwege raus ins Moos kreuzen, stand plötzlich eine richtige Kapelle. Viereinhalb Meter lang, vier Meter hoch, drei Meter breit und 40 Tonnen schwer. Daneben zwei Birken, die gestern auch noch nicht da waren.
Max machte auf dem Absatz kehrt und rannte schnurstracks zurück ins Dorf. Vor der Wallfahrtskirche St.Leonhard traf er seine Freunde aus dem Sportverein, die sich gerade zu einer ungewöhnlichen Wallfahrt aufmachten: raus ins Roßmoos. Einige der kräftigen Mannsbilder wirkten recht abgeschlafft und müde und Max kam der Gedanke, daß sie womöglich etwas mit der Kapelle zu tun haben könnten.
„Des is a Wunder, über Nacht ist eine Kapelle im Moos entstanden“, ging es an diesem Maimorgen wie ein Lauffeuer durch Inchenhofen. Auch Wochen nach dem „Wunder von Inchenhofen“ muß man noch kräftig nachbohren, wenn man als Reporter Näheres über die merkwürdige Kapelle erfahren möchte. Schmunzelnd erklärt ein stämmiger Bursche aus dem Dorf: „Es war die halbe Ortschaft beteiligt, aber es war Freinacht. Und es war dunkel. So hat keiner den anderen erkannt.“ Einen kleinen Tip für besonders Neugierige gibt es vielleicht: so mancher blaue Fingernagel zeugt davon, daß in der Dunkelheit beim Zusammenzimmern des Dachstuhls der Hammer nicht immer gleich den passenden Nagel getroffen hat. Wer's noch genauer wissen will, fragt am besten die Kinder, die ihre Protestbildchen in der Kapelle aufgehängt haben. „Bis in die früh um halb fünfe ging's da hoch her. Sogar das Feuerwehrauto war da“, berichtet ein elfjähriger Junge, der nachts aufgewacht ist, als die LKWs am Haus vorbeidonnerten. „Ich war sogar mit meinem Papa draußen“, ergänzt stolz eine Neunjährige.
Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht Leute aus dem Dorf oder auch von weiter her zur Kapelle pilgern. Schon bald könnte eine Protestallee den Pfad zur Protestkapelle säumen. Nach einer Idee von Anton Moll, dem Vorsitzenden der Bürgerinitiative, und vom ortsansässigen Künstler Eckard Hauser sollte jeder Bürger von Inchenhofen entlang des Feldweges einen Baum pflanzen. Angetan von dieser Idee, zeigt sich ein Baumschulenbesitzer aus Schechen bei Rosenheim großzügig. Er möchte die Bäume spendieren.
Aber noch wird heftig diskutiert, daß hier an dieser Stelle diese verruchte Restschlackendeponie für die Augsburger Müllverbrennungsanlage entstehen soll. Fast 2.000 Menschen haben sich schon in das Protestbüchlein drinnen in der Kapelle eingetragen, über 1.500 davon sind inzwischen Mitglied in der Bürgerinitiative. Dabei hat Inchenhofen insgesamt bloß 2.030 EinwohnerInnen. Sie sind fast alle katholisch, die Inchenhofener. Wo doch ihr Ort der drittgrößte bayerische Wallfahrtsort ist.
Doch die Töne, die sie anschlagen, klingen inzwischen mitunter ganz schön rauh. Einer, der in Inchenhofen geboren und aufgewachsen ist, wird von ihnen sogar bedroht, wie er empört erzählt. Er fehlt an diesem Tag, an dem der Reporter sich über die Geschichte der Protestkapelle informiert. Es ist der Landrat Theo Körner (CSU), der bei der letzten Wahl hier im Ort noch fast 90 Prozent der Stimmen bekam. Ihn möchten sie am liebsten „hier einbetonieren, wenn die Deponie wirklich kommen sollte“. Auch wenn die Kapelle im Zentrum der geplanten Deponie noch nicht geweiht ist, sind sie überzeugt davon, daß dieses Meisterwerk nie und nimmer abgerissen wird. „Sonst können sie was erleben, die Brüder da drinnen!“ Gemeint sind der Landkreischef und seine Planer sowie die „Herren im Zweckverband“.
Inzwischen haben sie auch ihren Bürgermeister Bernhard Kaltenstadler (CSU) für ihre Sache gewinnen können. Vor mehr als 200 DorfbewohnerInnen sagte der Bürgermeister dem Reporter beim Ortstermin, auch er halte diese Kapelle für eine großartige Leistung, „die zeigt, mit welcher Entschlossenheit die Bürger bestrebt sind, einen Deponiestandort hier zu verhindern“. Auch die Marktgemeinde und er stünden voll und ganz dahinter.
Ihrem Landrat werfen die Inchenhofener vor, er hätte sich als Zweckverbandsvorsitzender über den Tisch ziehen lassen. Der wiederum klagt, „ich bin in gewisser Weise heimatlos geworden“. Er könne schließlich nichts dafür, wenn unabhängige Gutachter einen Standort auswählen. Irgendwo müßten die Reststoffe aus der Müllverbrennung schließlich abgelagert werden.
Derzeit wird von den Juristen im Landratsamt überprüft, ob die Kapelle im Roßmoos, die der Landrat nur mal von weitem gesehen hat, grundsätzlich genehmigungsfähig ist. Wenn ja, dann müßte der Bauherr einen Bauantrag einreichen. Aber auch der Landrat weiß, daß es wenig wahrscheinlich ist, daß plötzlich einer als Bauherr auftritt. Wo es doch längst weit über Inchenhofen hinaus zum geflügelten Wort geworden ist, daß es sich hier um ein Wunder handelt.
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